Donnerstag, 25. April 2024
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    Neues EU-Urheberrecht: Showdown der Lobbyisten?

    Warum das Urheber- und Leistungsschutzrecht ein gutes Signal ist. Eine Meinung.

    Lobbyismus hat viele Gesichter. Nur selten jedoch treten sie so klar und unverblümt ins Licht wie dieser Tage in der hitzigen Debatte um die geplante Novelle des europäischen Urheberrechts. Während insbesondere deutsche Großverlage, allen voran Axel Springer, vehement für die anvisierte Reform streiten, fürchten Verfechter eines, wie sie es nennen, freien Internets, den Verlust eben dieser (ich darf es vorwegnehmen: imaginären) Freiheit. Und warnen vor Zensur und Monopolismus. Wer genau hinschaut, erkennt: Gerade dieses Geschrei ist nichts anderes als das Äquivalent der Gegenseite: Lobbyismus einer wirtschaftlichen Opposition. Und am Ende geht es nur um blanke wie unsinnige Besitzansprüche, die sich auf die eine Frage reduzieren lassen: Wem gehört es denn nun, das Internet?

    Das Ende des freien Internet? Ein „Quatschgesetz“?

    Die Wut der selbsternannten digitalen Freiheitswächter ist augenscheinlich groß: „Das Netz verliert gerade seine Informationsfreiheit“, unkte noch vor wenigen Tagen das IT-Magazin t3n und prognostiziert den „Abschied vom Internet, wie wir es kennen.“

    Die Gruppierung Copyright for Creativity (C4C), ein Zusammenschluss von Bürgerrechtsorganisationen und Wirtschaftsverbänden, redet gar von einem “tödlichen Cocktail für die EU-Bürger, institutionelle Akteure, Startups und große Unternehmen”, wie heise online berichtet. Und Blogger Sascha Lobo, der sich stets gern zu Wort meldet, wenn es seiner Popularität in der Digitalszene dient, setzt in einer Kolumne auf Spiegel Online noch einen drauf und nennt die Novelle ein „Quatschgesetz“. Starker Tobak.

    Was steht eigentlich drin? Und was bedeutet das?

    Aber die Fakten zuerst: Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments wird übermorgen, am 20. Juni 2018, über die weitere Ausgestaltung des Urheberrechts innerhalb der Europäischen Union entscheiden. Umstritten sind dabei insbesondere die geplante Einführung von Uploadfiltern für urheberrechtlich geschützte Medieninhalte sowie die Ausweitung des bislang deutschen Leistungsschutzrechts auf europäisches Recht.

    In weiterer Vorbereitung hatte am 25. Mai der Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten eine gemeinsame Haltung zur Ausweitung des bestehenden Urheberechts auf die digitale Welt formuliert und damit die Vorlage aus September 2016 bestätigt. Zuweilen macht es Sinn, sich vor jeder Spekulation über mögliche Auswirkungen den Originaltext anzuschauen. In Artikel 13, Absatz 1, der Vorlage heißt es:

    Information society service providers that store and provide to the public access to large amounts of works or other subject-matter uploaded by their users shall, in cooperation with rightholders, take measures to ensure the functioning of agreements concluded with rightholders for the use of their works or other subject-matter or to prevent the availability on their services of works or other subject-matter identified by rightholders through the cooperation with the service providers. Those measures, such as the use of effective content recognition technologies, shall be appropriate and proportionate. The service providers shall provide rightholders with adequate information on the functioning and the deployment of the measures, as well as, when relevant, adequate reporting on the recognition and use of the works and other subject-matter.

    oder zu Deutsch:

    Internet-Dienstanbieter, die den Zugriff auf eine große Anzahl von Werken oder anderen von ihren Nutzern hochgeladenen Schutzgegenständen ermöglichen und der Öffentlichkeit zugänglich machen, ergreifen gemeinsam mit den Inhabern der jeweiligen Schutzrechte Maßnahmen, um die Durchsetzung  von mit den Rechteinhabern geschlossenen Vereinbarungen über die Nutzung ihrer Werke oder anderer Schutzgegenstände sicherzustellen oder um die Verfügbarkeit von Werken oder anderen Schutzgegenständen, die von den Rechteinhabern im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Dienstleistern identifiziert wurden, in ihren Diensten zu verhindern. Diese Maßnahmen sowie die Verwendung wirksamer Technologien zur Erkennung von Inhalten müssen angemessen und verhältnismäßig sein. Die Dienstanbieter müssen den Rechteinhabern angemessene Informationen über die Funktionsweise und den Einsatz der Maßnahmen sowie gegebenenfalls eine angemessene Berichterstattung über die Anerkennung und Nutzung der Werke und sonstigen Schutzgegenstände zur Verfügung stellen.

    Alles halb so schlimm?

    Ja. Man kann durchaus kritisieren, dieser Vorschlag sei nicht eindeutig formuliert. Ab wann beispielsweise ist die Menge der zur Verfügung gestellten Inhalte „groß“ genug, um unter die Regelung zu fallen? Gilt die Regelung nur, wenn eine Vereinbarung zwischen Rechteinhaber und Plattformbetreiber geschlossen wurde? Und ab wann würde eine solche im Sinne der Richtlinie geschlossen?  Wodurch werden die Maßnahmen „angemessen und verhältnismäßig“? Der Gesetzgeber verfährt hier nach „Schema F“: Wir formulieren mal, warten dann auf die Rechtsprechung (also „echte“ Gerichtsurteile) und schärfen dann (vielleicht) später nach.

    Am Urgrund der Formulierung aber gibt es eigentlich nichts auszusetzen: Sie will dafür sorgen, dass jemand, der einen Inhalt oder ein Werk selbst erstellt (oder seine Erstellung finanziert), auch über die Art und Intensität der Verbreitung und Verwertung entscheiden und gegebenenfalls davon profitieren möge. Nichts anderes sagt das bereits bestehende Urheberrecht auch aus. Ausdrücklich ausgenommen von diesen Restriktionen sind in der Gesetzesvorlage im Übrigen Bildungsträger wie Universitäten, Schulen oder  Forschungseinrichtungen sowie Non-Profit-Portale wie etwa Wikipedia.

    In der Tat kann diese Regelung nach sich ziehen, dass große Contentprovider wie etwa Google mit YouTube, Vimeo oder auch Facebook Uploadfilter einsetzen, die sich mit zentralen Datenbanken, in denen geschützte Inhalte gelistet werden, abgleichen, um bei möglichen Urheberrechtsverletzungen den Upload überhaupt zu verhindern. Das aber setzte voraus, dass die geschützten Inhalte in den betreffenden Datenbanken auch als geschützt gekennzeichnet wären. Und das müssten die Rechteinhaber, also die Verlage, die Musiker, die Journalisten, Autoren oder Künstler, veranlassen. Bedeutet: Sie selbst erhalten die Option, eigene Werke zu listen und entsprechend zu schützen. Tun sie es nicht, so stimmen sie stillschweigend einer ungeschützten Verbreitung zu. Eigentlich fair, oder?

    Wir waren keine Neandertaler

    Nun kritisieren Gegner der Novelle, solche Uploadfilter könnten und würden gewiss auch fehleranfällig sein und damit Uploads verhindern, die gar nicht geschützt seien, weil eben der Bot dahinter den Inhalt vielleicht falsch zuordnen würde. Und solche Filter würden allein aus Angst des Plattformbetreibers vor massenhaften Klagen besonders scharf eingestellt werden. Das wiederum würde der freien Verbreitung von Information zuwiderlaufen und uns in eine informationspolitische Steinzeit zurückwerfen.

    Moment: Ich bin in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen und habe in den 90ern studiert. Ja, wir mussten uns damals Zeitungen kaufen, Radio und Fernsehen konsumieren und viel mit unserem Umfeld sprechen (sprechen, nicht chatten), um uns eine Meinung zu bilden. Ja, wir mussten eine Schallplatte oder Musik-Cassette und später dann eine CD (im regionalen Einzelhandel!) erwerben, um unsere Lieblingsmusik hören zu können. Und ja, wir mussten in der Uni-Bibliothek zuweilen zwei Wochen auf ein Buch via Fernleihe warten, um es dann eine Woche später wieder abzugeben (was zur Folge hatte, dass wir es auch gelesen hatten. Und zwar das Buch, und nicht irgendeine gefilterte Zusammenfassung aus dem Netz.) Und ja, viele Menschen lasen damals die Bild Zeitung. So wie heute. Nur damals eben auf Papier und heute online.

    Und? Waren wir deshalb bildungstechnische, gesellschaftliche oder politische Neandertaler, nur weil es eben noch kein weltweites Datennetzwerk gab, in das jeder nach Gusto und Laune alles hochladen kann, was gerade beliebt? Oder ist es vielleicht gerade die massenhafte Verfügbarmachung von Inhalten, die zum Verlust ihres originären Wertes, zu (bewussten oder unbewussten) Verfälschungen bis hin zu Fake News und digitalem Populismus führt? Ist es heute um die Informationsfreiheit tatsächlich so viel besser bestellt als vor der Zeit des Internet als Massenmedium? Oder kontrollieren die Informationen und ihre Verbreitung heute nicht vielleicht einfach ganz andere (globale) Medien?

    Wie in der Sesamstraße: Die Sache mit den Links

    Aber es geht noch weiter: Gegner des Leistungsschutzrechts und seiner Ausweitung in die EU-Gesetzgebung fürchten, dass das einfache Verlinken von Inhalten nicht mehr (oder nur noch gegen Vergütung oder mit Genehmigung des Rechteinhabers) möglich sei. Verlage, so heißt es, wollten damit Internetunternehmen wie Google oder Microsoft (Bing) nötigen, sie an der Nutzung (und Verlinkung) ihrer Inhalte zu beteiligen und den Verlust an Werbeumsätzen wieder ausgleichen, die sie (die Verlage) gegenüber Digitalunternehmen wie Google eingebüßt hatten.

    Stellen wir uns frei nach der Sesamstraße mal dumm und fragen schlicht: Was passiert dann? Was würde geschehen, wenn ein Verlag wie etwa Axel Springer auf dieses Recht beharren und die Verbreitung seiner Inhalte über Suchmaschinen wie Google kostenpflichtig gestalten würde? Na? Richtig. Folgende Kausalkette würde sich anschließen:

    1. Google würde die Seite aus dem Index nehmen.
    2. Der Verlag büßte einen Großteil seines Traffics ein.
    3. Seine Internetangebote würden deutlich weniger umsetzen.
    4. Die Printauflage würde deshalb nicht steigen.
    5. Alternativangebote zu diesem Verlag würden die Positionen bei Google & Co. erlangen.
    6. Der Verlag würde nichts gewinnen und nur verlieren.

    Genau diese mögliche Konsequenz hat im Übrigen dazu geführt, dass trotz bestehenden Leistungsschutzrechts in Deutschland nicht ein einziger Verlag dies bisher gegenüber einem Internetdienst angewandt hat. Es ist folglich komplett widersinnig zu glauben, dass sich das nun, wenn die Gesetzgebung auf Europäisches Recht ausgeweitet würde, anders verhielte.

    Zwischenfazit: Auch wenn es eigentlich möglich wäre, wird bei Einführung dieser Regelung in das EU-Recht kein einziger Verlag seine generischen Links bei Google monetarisieren. Im Gegenteil: Viele Verlage nutzen bereits seit langem Tools wie Google AdSense, um genau über diese Technologie Zusatzeinkünfte zu erzielen. Das Monopol Googles für den Medienkanal „Search“ ist schlichtweg viel zu groß, Alternativen sind nicht in Sicht. Und eigentlich ist es eher das (und nicht das Aufbäumen der Verlage), was mir Sorge bereitet.

    In einem Punkt hat Döpfner Recht

    Arbeit kostet Geld. Ich selbst habe bis Ende der 90er Jahre als Journalist in einem Regionalverlag gearbeitet. Es gab in jeder Regionalausgabe eine eigene Chefredaktion, mehrere Redakteure und sogar Lektoren. Heute ist das anders. Ein Materndienst sorgt dafür, dass möglichst viel vereinheitlicht und regionale oder auch thematische Individualität auf ein Mindestmaß reduziert wird. Es ist weder Geheimnis noch Übertreibung, dass die Zunft der fest angestellten Journalisten in Verlagen und Medienanstalten im Zuge der Digitalisierung massiv an Zahl, Bedeutung und Qualität eingebüßt hat. Schlichtweg, weil die „klassischen“ Medien erhebliche Umsatzverluste zugunsten digitaler Angebote erlitten haben.

    Man mag den Verlagshäusern zu Recht vorhalten, sie hätten die Digitalisierung und ihre Chancen lange und teils bis heute verschlafen. Aber gleichwohl erfordert es eine freie und demokratische Gesellschaft, dass Information auch qualifiziert aufbereitet und transportiert wird. Was der Einzelne aus dieser Information dann macht, ist seine Sache. Aber dem Totalverlust der Information oder alternativ einer Heerschar ungelernter Hobbyjournalisten, selbstinthronisierter Meinungsmacher, notorischer Wichtigtuer und Populisten das Feld zu überlassen, nur weil man ja eine ach so freie Informationskultur feiern möchte, entbehrt jeden Respekts vor der Information selbst und derer, der sie mit Sachverstand und Verantwortung aufbereiten.

    Wenn Mathias Döpfner also für das Leistungsschutzrecht eintritt und nach Wegen einer Monetarisierung von Journalismus auch in der digitalen Zukunft sucht, dann mag man ihm wirtschaftliche Motive unterstellen. Aber das ist legitim: Er ist Verleger und damit seinem Unternehmen verpflichtet. Zugleich aber ist es absolut richtig, zu sagen: Wenn wir einen hochwertigen Journalismus wollen, müssen wir ihm auch die Möglichkeit geben, sich zu finanzieren. Und nein, nicht etwa über Zwangsgebühren, sondern über wirtschaftliche Prozesse. Hier haben die Verlage durchaus noch Hausaufgaben zu erledigen: Es sind zweifellos mehr Qualität, Kreativität, Empathie, Relevanz und Unabhängigkeit gefordert als wir sie derzeit vielfach erleben.

    Die Freiheit der Publikation im Netz wird indes in keiner Weise eingeschränkt: Denn jeder, der frei publizieren will, kann dies mit eigenen Werken (!) auch nach wie vor tun. Dass das (übrigens auch und gerade bei Google) erfolgreich sein kann, beweisen zahlreiche Musiker, Blogger, YouTuber und andere Medienschaffende, die eben genau über diesen Weg bekannt und erfolgreich wurden. Nur das Klauen von Inhalten und das Schmücken mit fremden Federn: Das geht eben (hoffentlich) künftig nicht mehr einfach so. Was auch richtig wäre.

    Das Internet gehört den Nutzern

    Zurück zum Beginn unserer kleinen Reise. Was wir mit dem Streit um Urheber- und Leistungsschutzrecht erleben, ist eine Nebelkerze. Die Schlacht findet andernorts statt. Denn lange schon tobt der Kampf um die Erlösquellen des Internet zwischen den „alten“ und den gar nicht mehr so „neuen“ Medien. Und das hat viel mit Qualität und Nähe zu den Menschen zu tun.

    Google ist deshalb erfolgreich, weil es von Beginn an verstanden hat, was Nutzer wollen: Ergebnisse, die zu ihnen passen. Und weil das so ist und aller Voraussicht nach auch so bleiben wird, müssen wir uns gar keine Sorgen machen: Denn wir, die Nutzer, bestimmen letztlich darüber, was wir lesen, hören oder sehen wollen. Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Plattformen, die das beherzigen und respektieren, werden erfolgreich sein, und andere eben nicht. Und wie auch immer der Rechtsausschuss der EU übermorgen entscheidet: Daran wird kein Urheberrecht der Welt etwas ändern.

    Bildnachweis: © k_yu / fotolia.com

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