Zwar ohne Internetzugang geboren und vom alten Modemgeräusch eher genervt als in nostalgisches Schwärmen verfallend, muss ich zugeben: Ohne Internet? Ohne mich! Öffnungszeiten, Einkäufe, Reservierungen, Bewerbungen und Dates, beinahe jeder alltägliche Aspekt des Lebens kann über das WWW laufen.
Doch plötzlich gibt es Aufstand. Web-Erfinder Tim Berners-Lee ist unzufrieden. Das Netz wird von Quasi-Monopolisten dominiert und kontrolliert. Sein Putsch-Projekt: Solid. Kommt es zum Sturz?
Der Fischer und sein Netz
Eine Klarstellung vorweg. Natürlich hat Tim Berners-Lee das Netzwerk nicht alleine erfunden. Das waren – wissenschaftlich belegt – kluge Leute aus der Mittelsteinzeit.
Aber: Er hat die erste Webseite in diesem Internet gebaut. Damals. 1989 bei kaltem Neonlicht und grünem Linoleumboden. Da saß er, der britische Informatiker Tim Berners-Lee in seinem Büro des europäischen Kernforschungszentrums CERN. Und er schrieb. Seine Vision: Ein weltweites, verbundenes Informationssystem.
Damals, 1989, stieß seine Idee auf taube Ohren. Ein ähnliches Schicksal wie Bitcoins. Aber Tim gab nicht auf. Er trieb sein Projekt voran, auch ohne Anerkennung oder Wertschätzung. Ganze zwei Jahre lang. Und schlussendlich wurde der Traum des damals 36-Jährigen wahr. Am 6. August 1991 veröffentlichte er schließlich das Dokument, das den Lauf der Geschichte veränderte. Die erste Website der Welt.
Der Link: http://info.cern.ch.
Hier informierte er über seine Entwicklung: das World Wide Web. Der Beginn einer sozialen Revolution.
Das Internet in falschen Händen
27 Jahre und etliche Booms, Downs, nerviger Werbeeinblendungen, horrenden Internetkosten, sozialen Netzwerken und Websites später haben wir den Salat.
“I’m still an optimist, but an optimist standing at the top of the hill with a nasty storm blowing in my face, hanging on to a fence”, so der Tim Berners-Lee, auch TimBL genannt.
Denn die eigentliche Prämisse hinter der Berners-Lee-Erfindung:
„An open platform that allows anyone to share information, access opportunities and collaborate across geographical boundaries.“ so Tim Berners-Lee gegenüber dem britischen Guardian.
Kurzum: Eine freie Plattform für jedermann, um Informationen, Wissen und Chancen unabhängig geographischer Grenzen zu teilen. Aber die Realität scheint der Naivität mal wieder den Spiegel vorzuhalten. Nicht unzählige kreative und wissbegierige Individuen „kontrollieren“ das Internet. Nein. Mittlerweile wird das WWW von einigen wenigen großen Anbietern wie Google, Facebook, Amazon oder Netflix dominiert. Ihr Ziel: Daten über ihre Nutzer sammeln. Und wozu? Zum plumpen Verkauf. Denn dieselben Big-Player kontrollieren, welche Inhalte jeder Nutzer sieht.
Die Kunst des Kapitals
Das Geschäftsmodell der Internetgiganten ist simpel. Es basiert darauf, Dienste aufgrund von Daten anzubieten. Diese Daten werden in sogenannten Silos gespeichert. Und streng gehütet.
So ist die gängige Beschuldigung gegenüber Facebook – die Plattform verkaufe die Daten seiner Nutzer – falsch. Im Gegenteil! Das soziale Medium hütet diesen Schatz wie Gollum seinen Ring. Denn in Wahrheit verkauft Facebook nicht die Daten, sondern Werbeplätze auf der Basis jener gesammelten Daten. Die wir übrigens alle freiwillig der Plattform „spenden“.
Dadurch und durch politische Spannungskämpfe hat sich das Internet verändert. Der Machthunger und Einflussbereich digitaler „Torwächter“ wächst. Durch ihre Algorithmen werden sie zu gefährlichen Meinungsmachern.
Ein „Solid“er Gegenentwurf?
Und so erschuf der britische Informatiker Solid. Das Akronym steht für Social Linked Data.
Die Gemeinsamkeit mit dem bestehendem Internet: Persönliche und soziale Daten wie Kontakte, Freundeslisten, Blogposts, Gesundheitsdaten und Bankbewegungen sollen auf verschiedenen Containern (Pods) gespeichert werden. Dabei kann dieser Pod irgendwo liegen. Auf einer lokalen Festplatte, einem Firmenserver, einem Webspace oder Cloud-Anbieter. Der Unterschied: Für jeden Pod lässt sich einstellen, wer darauf zugreifen darf.
Der Bann der Datenschieberei und „zufällig ausgewählter“ Werbeeinblendungen wäre gebrochen.
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