Wenn Nachhaltigkeit keine Modeerscheinung ist

Wer Alfred Platow sieht, weiß sofort, dass er keinen typischen Vertreter der Finanzbranche vor sich hat. Eher einen Philosophieprofessor oder einen Alt-Achtundsechziger. Dass beide Welten sich aber nicht ausschließen, dafür ist der heute 69 Jahre alte Platow der lebende Beweis. „Ökologie muss auch ökonomisch sein, sonst macht es keinen Sinn“, ist einer seiner Leitsprüche. Bis die Finanzbranche aber begriffen hat, dass Ökologie überhaupt ökonomisch sein kann, hat Platow Jahrzehnte kämpfen müssen. Heute werden seine Ökoworld-Fonds vielfach ausgezeichnet, weisen gute Renditen auf und finden entsprechenden Absatz. Alle Welt will plötzlich nachhaltig anlegen oder gibt dies zumindest vor. Die Glaubwürdigkeit eines Alfred Platow, der nichts mit dem gleichnamigen Börsenbrief zu tun hat, hat jedoch keiner. Als er vor 40 Jahren mit Klaus Odenthal die „Alfred & Klaus - kollektive Versicherungsagentur“ in einer umgebauten Garage in Hilden bei Düsseldorf gründete, um einen „Bewusstseinswandel im Geldwesen“ zu bewirken, waren die Grünen noch nicht einmal gegründet. Die Versicherer Swiss Life, Mannheimer und Continentale gaben in den achtziger Jahren dem hartnäckigen Drängen Platows nach: Sie willigten ein, die Mittel seiner Gesellschaft Ökowerk nach entsprechenden Kriterien anzulegen. Altersvorsorge für ökologisch orientierte Betriebe sollte so in einem gemeinsamen Versorgungswerk organisiert werden. Doch nach zwei Jahren kapitulierten die Versicherer. „Die dachten, da kommt eh kein Geld rein. Als bald aber 10 Millionen D-Mark zusammen waren, konnten sie die Bedingungen für die ökologische Geldanlage nicht mehr erfüllen“, sagt Platow mit gestutztem Bart und lichterem Haar heute. Aufgeben kam für ihn aber nicht in Frage. Er versuchte mit seinem Geschäftspartner Odenthal und der befreundeten Juristin Nissen selbst eine Fondsgesellschaft zu gründen, um das Geld der Kunden nach ökologischen Kriterien anlegen zu können. Doch das Bundesaufsichtsamt für Kreditwesen hielt 1993 nichts davon. „Der Namensbestandteil Öko sei nicht zulässig, disqualifiziere er doch alle anderen Marktteilnehmer als nichtökologisch“, erinnert sich Platow an die damalige Begründung. Die Fondsgesellschaft Ökovision wurde deshalb vor ziemlich genau 20 Jahren in Luxemburg gegründet, wo sie auch heute noch ihren Sitz hat. „Es gibt konsequenterweise bis heute keinen Fonds deutscher Genese, der das Wort Öko im Namen enthält“, sagt Platow. Ökoworld-Aktienfonds verwalten heute rund 700 Millionen Euro Die Ökoworld-Aktienfonds verwalten heute rund 700 Millionen Euro. Dazu wäre es nicht gekommen, wenn Platow, studierter Sozialarbeiter, die Eltern Steuerberater, die Ehefrau und der Schwiegervater Banker, nicht ein Fondsmanagement klassischer Prägung und streng an der Rendite ausgerichtet, aufgebaut hätte. Denn selbst bei den überzeugtesten Öko-Aktivisten hört beim Geld der Spaß auf. Seine Prinzipien musste Platow dafür aber nicht über Bord werfen. „Wir sind Pfadfinder“, sagt Platow, der mit seinem Analyseteam seit Jahrzehnten rund um den Globus reist und nach geeigneten Aktien sucht. „Wir bekommen Hinweise und Ideen von allen möglichen Menschen“, sagt Platow. „Wenn wir etwas interessant finden, fahren wir da hin, auch für Wochen, reden mit den Leuten und tauchen ganz tief in die Betriebe ein.“ Undenkbar ist für ihn zum Beispiel, dass Fondsfachleute ohne Portugiesisch-Kenntnisse nach Brasilien fahren. Erst wenn die Analysten nach eingehender Prüfung, die auch mal sechs bis neun Monate dauern kann, zu dem Urteil kommen, das Unternehmen sei für die Investition geeignet, wird es Teil einer Vorschlagsliste für den Anlageausschuss. Dieses unabhängige Gremium aus Wissenschaft, Kirche und Verbraucherschutz prüft dann speziell die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Unternehmen mit dem Kriterienkatalog für den Fonds Ökoworld Ökovision Classic. Ausgeschlossen sind Unternehmen, die Raubbau an natürlichen Ressourcen betreiben, Menschen diskriminieren und Menschenrechte verletzen und die mit Kinder- und Zwangsarbeit, Waffen, Atomenergie oder Chlorchemie zu tun haben. „Diese Kriterien sind nicht verhandelbar, auch wenn mancher Großkunde meint, Sonderwünsche einbringen zu müssen. Das lehnen wir ab“, sagt Platow, auch wenn ihm dabei Geld entgeht. Im Ergebnis hat er keinen einzigen Großinvestor mit mehr als 20 Millionen Euro in seinen Fonds. „Das macht uns stabil, weil auch niemand auf einen Schlag einen großen Betrag abziehen kann.“ Eine breite Basis regelmäßiger Zuflüsse stellen derzeit 60 000 Versicherungsverträge für die Altersvorsorge dar. „Schwarzgeld nehmen wir übrigens nicht, das verfolgen wir bis ins Letzte“, sagt Platow. Unter dem Strich bleibt ein streng geprüftes Anlageuniversum, das zwar viele bekannte Namen von Ebay, über Intel oder Adobe enthält. Doch fördert das Fondsmanagement auch viele Unternehmen zutage, die sich sonst nicht in Fonds befinden. Welche Aktien letztlich gekauft werden, bestimmen allein die Fondsmanager, allesamt Profis, die ihr Handwerk bei klassischen Fondsgesellschaften gelernt haben. „Die können und sollen bei uns nach allen Regeln ihrer Kunst schalten und walten, um die beste Rendite zu erwirtschaften“, sagt Platow. Einzige Beschränkung ist der Rahmen, den die Analysten mit ihrer Auswahl und der Anlageausschuss mit seiner Prüfung vorgeben. Derzeit sind unter den Gesichtspunkten Ethik, Soziales und Ökologie global 2500 Unternehmen über alle Ökoworld-Fonds investierbar. Der einzige Dax-Konzern im Fonds ist Henkel Platow ist hier ganz pragmatischer Kapitalist. „Kapital ist die Grundlage jeglichen Schaffens.“ Platow bedauert daher sehr die Haltung der deutschen Bevölkerung zu diesem Thema. „Deutschland besteht aus lauter toten Börsenstädten. Die aktive Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus fehlt“, sagt Platow. „In Amerika ist die Bevölkerung zu einem großen Teil als Aktionär Eigentümer der Unternehmen. Sie stellen Fragen, sie haben Macht, sie trauen sich viel mehr zu. Das Gefühl des Miteigentümers, der Anspruch und Einfluss hat, fehlt bei uns völlig.“ Platow will bald über den Förderverein eine Lehrkraft für Steuern, Finanzen und Recht am Gymnasium seiner Heimatstadt Hilden bei Düsseldorf finanzieren und so ein Zeichen für mehr Bildung in Wirtschaftsfragen setzen. Dass Einfluss im Kleinen anfängt, zeigt Platow auch in der Geldanlage. „Wir investieren nicht nur in ökologisch perfekte Unternehmen, die gibt es nämlich gar nicht, sondern wir versuchen sie durch Einflussnahme zu verbessern“, sagt Platow. So ist eine der größten Positionen im mit 500 Millionen Euro gefüllten Flaggschiff-Fonds Ökovision Classic die Aktie der amerikanischen Kaffeehauskette Starbucks. „Mittlerweile beziehen die ein Fünftel ihres Kaffees aus ökologischem Anbau und die Pappbecher in den Filialen sind recyclebar“, sagt Platow. „Ohne unseren Einfluss über viele Jahre gäbe es das nicht. Wir schauen auch sehr genau auf die Arbeitsbedingungen der Zulieferer.“ Der einzige Dax-Konzern im Fonds ist der Düsseldorfer Henkel-Konzern. „Sozialarbeit“ nennt Platow das Einwirken auf Veränderungen beim Konsumgüterkonzern „vor unserer Haustür“. Auch Lindt & Sprüngli gehört zu den investierten Aktien. „Ein Konzern, der minutiös über die Anbaubedingungen berichtet und höchsten Qualitätsansprüchen genügt“, sagt Platow. Außerdem sei Schokolade gut für die menschliche Psyche. Denn einer der Grundsätze des Vorstandsvorsitzenden ist es, dass die Unternehmen vor allem dem Menschsein zu dienen haben. „Wir sind dem Humanismus verpflichtet“, sagt Platow. Gesundheit, Bildung und Ernährung sind daher bevorzugte Branchen. Mit Novo Nordisk ist ein großer Hersteller von Diabetes-Medikamenten im Fonds. „Wir gucken sehr genau, dass es dort keine Tierversuche gibt.“ Auch in Sonova Hörgeräte wird investiert, „für chemiefreie Hörgeräte im Ohr“. Mit Treehouse Education gehört aber auch eine indische Kindergartengesellschaft zu den bevorzugten Aktien oder auch die brasilianische Natura Cosméticos. Sonne und Wind, die viele als Erstes mit Ökofonds assoziieren, spielen indes nur dann eine Rolle, wenn die Wirtschaftlichkeit gegeben ist. „Wir gehörten zu den Ersten, die sich aus den Aktien verabschiedet haben. Da fehlte es einfach an Performance“, sagt Platow. „Nach einer kompletten Meidung des Sektors erkannten wir Ende 2012 erste Anzeichen einer Konsolidierung und zunehmender Projektaufträge, die zu Ordereingängen und zu Umsatzerlösen führten.“ Allerdings spielte die Musik nicht im großen deutschen Markt wie die Jahre zuvor, sondern andere Wachstumsmärkte traten aus ihrem Schatten heraus, beispielsweise in Japan und den Vereinigten Staaten. Von Elektroautos hält Platow nichts. „Das ist totaler Unsinn, die sind abhängig vom Stromnetz, vom schädlich hergestellten Strom wollen wir aber ja weg, und die Verbreitung Tausender Zapfstellen ist nicht praktikabel.“ Elon Musk und Tesla seien mit Sicherheit ein interessantes Projekt, in dem es aber primär um die Weiterentwicklung von Speichermedien gehe - jedoch nicht um die Komplettlösung des Individualverkehrs der Zukunft. Platow setzt stattdessen auf Wasserstoffantrieb. „Wenn es in fünf Jahren ein börsennotiertes Unternehmen gibt, das nur mit Wasserstoffantrieben sein Geld verdient, sind wir mit Sicherheit dabei.“ Morningstar vergibt gute Noten Dass mittlerweile immer mehr Anleger auf nachhaltige Geldanlage setzen, kann Platow nur recht sein. Dass es viele als Modethema begreifen, stört ihn hingegen. Er rät zu einem genauen Blick auf die nachprüfbaren Bedingungen. „Der Best-in-Class-Ansatz, wonach auch in der schlimmsten Branche der Beste in Nachhaltigkeitsprodukte aufgenommen wird, ist ein Betrug am Anleger und macht den Markt kaputt“, sagt Platow. Die Verbraucherzentrale Bremen hat in einer gemeinsamen Untersuchung mit der Stiftung Warentest nur dem Ökovision Classic 100 Prozent Erfüllung von Ausschlusskriterien bescheinigt und damit als mit Abstand konsequentesten ethisch-ökologischen Aktienfonds bezeichnet. Aber auch rein an Fondsqualität orientierte Anbieter wie Morningstar bedachten den Schwellenländerfonds Ökoworld Growing Markets 2.0, kaum dass er die nötigen drei Jahre alt war, mit der selten vergebenen Höchstnote von fünf Sternen. Vor Kursverlusten schützt das die Anleger natürlich nicht, schließlich ist Platow ein Verfechter von Aktien mit allen damit verbundenen Risiken. Der schwache Start in das Jahr 2016 hat auch die Ökoworld-Fonds erwischt. Das Flaggschiff Ökoworld Classic liegt aber nicht nur seit Jahresanfang besser als der Dax, sondern auch mit Blick auf drei oder fünf Jahre. Seit der Gründung 1996 erbrachte der Fonds nach Kosten 5 Prozent Rendite im Jahr. Die Kosten sind dabei mit 5 Prozent Ausgabeaufschlag ohne jede Rabattaktion und rund 2 Prozent je Jahr vergleichsweise hoch, nach Ansicht von Platow angesichts des hohen Aufwands, den seine Gesellschaft betreibt, aber noch viel zu billig. Dass Platow seinen Grundsätzen treu bleiben kann, liegt auch in der Struktur des Unternehmens begründet. „Wir sind eine AG auf genossenschaftlicher Basis“, sagt er. Die stimmberechtigten Stammaktien der Muttergesellschaft Ökoworld liegen seit der Umwandlung in eine AG und dem Börsengang im Jahr 2000 komplett bei den Familien Platow, Odenthal und anderen Mitarbeitern aus der Gründerzeit. Die nichtstimmberechtigten, börsennotierten Vorzugsaktien liegen zu 70 Prozent bei Kunden. „Wir zahlen traditionell 4 bis 6 Prozent Dividende“, sagt Platow. Von 1,15 Euro Anfang 2010 hat sich der Kurs nun bis auf rund 11 Euro verzehnfacht. Das Unternehmen wird nun etwa mit 90 Millionen Euro bewertet. Alte Hochs aus den Euphoriezeiten des Neuen Marktes, in denen Ökoworld unter dem Namen Versiko im Dezember 1999 an die Börse ging, bleiben mit mehr als 70 Euro, die im März 2000 kurzzeitig erreicht wurden, wohl noch lange in weiter Ferne. „Ich habe den Leuten damals geraten, die Finger von unserer Aktie zu lassen“, sagt Platow. Auch heute noch würde die Fondsgesellschaft nicht selbst in ihre Aktie investieren. „Das liegt aber nicht am Geschäftsmodell, sondern an der geringen Liquidität unserer Aktie“, sagt Platow. Übernahmeangebote für das Unternehmen gab es derweil zur Genüge. „Unseriös“ nennt Platow diese. Vermutlich, weil zu befürchten stünde, dass der von ihm angestoßene Bewusstseinswandel im Geldwesen in einem Großkonzern wieder unterginge.