Die Demokraten gehen mit Joe Biden in den Wahlkampf gegen Präsident Donald Trump. Ein Überblick über die Gründe für Bidens Sieg bei den Vorwahlen, das Wahlsystem und die wichtigsten Themen.
Im Zweiparteiensystem der USA haben bei der Präsidentschaftswahl realistischerweise nur zwei Personen Chancen auf den Einzug ins Weisse Haus. Die Auswahl für die Wähler ist also eng begrenzt. Wer der jeweilige offizielle Kandidat der Republikaner oder der Demokraten wird, entscheidet dafür die Parteibasis in den Vorwahlen – eine Methode, die europäische Parteien in den letzten Jahren erst vereinzelt übernommen haben.
Das Verfahren der Vorwahlen ist sowohl zwischen den Parteien als auch von Gliedstaat zu Gliedstaat unterschiedlich. Es geht für die Bewerber nicht darum, möglichst viele Stimmen zu erringen, sondern möglichst viele Delegierte für den nationalen Parteitag, an dem der Kandidat offiziell nominiert wird. Besonders umkämpft sind deshalb einerseits die wegen ihrer Symbolwirkung wichtigen ersten Vorwahlen und andererseits jene in den Gliedstaaten mit hohen Delegiertenzahlen wie Kalifornien oder Texas. Die Vorwahlen beginnen traditionell mit den Caucuses in Iowa. Ein Höhepunkt ist stets der «Super Tuesday», der in diesem Jahr am 3. März stattfand. Dabei hielt mehr als ein Dutzend Gliedstaaten Vorwahlen ab und wurden auf einen Schlag 34 Prozent aller Delegierten für den nationalen Parteitag bestimmt. Hier finden Sie einen detaillierten Kalender mit allen Daten und Fakten.
Während im Jahr 2016 die ehemalige Aussenministerin Hillary Clinton bei den Demokraten als haushohe Favoritin ins Rennen ging und die Ausmarchung bei den Republikanern grössere Spannung versprach, war die Situation dieses Jahr umgekehrt. Donald Trump wurde als Amtsinhaber von keinem aussichtsreichen Bewerber herausgefordert. In mehreren Gliedstaaten verzichteten die Republikaner deshalb auf Vorwahlen.
Mit den Vorwahlen bestimmen die beiden grossen Parteien der Vereinigten Staaten ihren jeweiligen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im November. In jedem Gliedstaat, im District of Columbia und in den amerikanischen Aussengebieten lassen sie die Basis wählen. Dabei werden Delegierte verteilt, die sich auf einen bestimmten Präsidentschaftsbewerber verpflichten müssen. Diese Delegierten wiederum nominieren an den nationalen Parteikonventen im Sommer den offiziellen Kandidaten. In der Regel sind die Delegierten dazu verpflichtet, am Parteikonvent für «ihren» Kandidaten zu stimmen, wobei es Ausnahmen gibt.
Bei den Republikanern nehmen am Parteitag insgesamt 2552 Delegierte teil, bei den Demokraten 4750, von denen 3979 bei der Kür des Präsidentschaftskandidaten voll stimmberechtigt sind. Erreicht ein Bewerber im Laufe der Vorwahlen das absolute Mehr dieser Delegierten, ist ihm die Nomination zum offiziellen Kandidaten sicher. Das Ziel dieses Prozesses ist, dem Fernsehpublikum mit dem Parteikonvent Geschlossenheit zu demonstrieren und den zu kürenden Kandidaten zu feiern. Der Anlass ist damit bereits ein wichtiges Element im «eigentlichen» Wahlkampf um das Weisse Haus. Die harte parteiinterne Auseinandersetzung soll vorher stattfinden und diese «Krönungszeremonie» nicht überschatten.
Aufseiten der Demokraten begann das Wahljahr 2020 mit zwei Favoriten und mehreren aussichtsreichen Aussenseitern. Joe Biden führte das Feld im Durchschnitt der Umfragen relativ deutlich an mit rund 10 Prozentpunkten Vorsprung auf Bernie Sanders, den linken Senator aus Vermont. Beide profitierten von ihrem hohen Bekanntheitsgrad – Biden als langjähriger Vizepräsident Barack Obamas und Sanders als überraschend hartnäckiger Herausforderer Hillary Clintons im Jahr 2016. Hinter den beiden Veteranen lagen die Senatorin Elizabeth Warren, die im Herbst die Umfragen kurzzeitig sogar angeführt hatte, und der Nachwuchspolitiker Pete Buttigieg, ein ehemaliger Bürgermeister aus dem Gliedstaat Indiana. Aufgrund ihrer Herkunft aus dem Mittleren Westen durfte sich zudem die Senatorin Amy Klobuchar Chancen ausrechnen auf Erfolge in den ersten beiden Vorwahlstaaten Iowa und New Hampshire. Eine unkonventionelle Strategie verfolgte schliesslich Mike Bloomberg, der ehemalige Bürgermeister von New York. Er liess die ersten Vorwahlstaaten aus und setzte ganz auf die bevölkerungsreichen Gliedstaaten, die am «Super Tuesday» wählten. Rund eine halbe Milliarde Dollar wendete er für Werbung in diesen Staaten auf.
Die vom Chaos wegen einer nicht funktionierenden Datenübermittlung überschatteten Caucuses in Iowa brachten mit Buttigieg einen überraschenden Sieger hervor, auch wenn er nur hauchdünn vor Sanders lag. Biden landete nur auf Platz vier, noch hinter Warren. Knapp eine Woche später gelangten in New Hampshire erneut Buttigieg und Sanders an die Spitze, dieses Mal jedoch mit Vorteil Sanders. Klobuchar schnitt erstaunlich stark ab, während Biden weniger als 10 Prozent der Stimmen gewann. In Nevada ging es erstmals auch um die Stimmen einer wichtigen ethnischen Minderheit, knapp 30 Prozent der Bevölkerung sind Latinos. Sanders siegte mit so klarem Vorsprung, dass die Angst im Parteiestablishment vor einem Durchmarsch des linken Revoluzzers spürbar wurde.
Die in Bezug auf die zu vergebenden Delegiertenstimmen wichtigste der frühen Vorwahlen, jene in South Carolina, stellte das Rennen jedoch wieder auf den Kopf. Biden hatte ganz auf diesen Gliedstaat gesetzt und erreichte fast die Hälfte der Stimmen. Damit erhielt er nicht nur viel Schub für den «Super Tuesday» wenige Tage später, sondern er zeigte auch, dass die anderen moderaten Kandidaten über keinen Rückhalt bei den Afroamerikanern verfügten, einer der wichtigsten Wählergruppen der Demokraten. Bidens Sieg löste eine bemerkenswerte Dynamik aus. Buttigieg und Klobuchar gaben das Rennen auf und sprachen sich für Biden aus.
Nach dieser späten Einigung im moderaten Lager wurde der «Super Tuesday» für Biden zum Triumph. Er entschied zehn von vierzehn Gliedstaaten für sich, darunter das bevölkerungsreiche Texas sowie die Staaten des Südens. Sanders gewann zwar in Kalifornien, doch weil Bloomberg unter den Erwartungen abschnitt, vermochte er Biden auch hier nicht entscheidend zu distanzieren. Die «nationale Vorwahl» brachte damit die Wende. Biden zog in der Delegiertenstatistik an Sanders vorbei, zudem gab Bloomberg auf und sprach sich für den ehemaligen Vizepräsidenten aus. Wenig später beendete auch Warren ihre Kampagne, allerdings ohne eine Unterstützungserklärung für den politisch ähnlich positionierten Sanders.
Die übrigen Vorwahlen im März gewann Biden fast alle, darunter in so bedeutenden Staaten wie Michigan, Illinois und Florida. Damit schien die Entscheidung gefallen – doch die Corona-Pandemie stürzte die Auseinandersetzung ins Chaos. Beide Kontrahenten konnten ihren Wahlkampf nur noch virtuell aus ihrer jeweiligen Heimat führen, während immer mehr Gliedstaaten ihre Vorwahlen um Wochen verschoben. Nach unter fragwürdigen Bedingungen abgehaltenen Vorwahlen in Wisconsin inmitten des Gesundheitsnotstands hatte Sanders ein Einsehen und gab das Ende seiner Bewerbung bekannt. Auch wenn er weiterhin Delegierte sammeln will, um inhaltlich Einfluss auf das Wahlprogramm nehmen zu können, steht Biden damit als «presumptive nominee» fest.
Als ehemaliger Vizepräsident von 2009 bis 2017 ist Joe Biden mit den Mechanismen der Regierungsgeschäfte vertraut. Worauf es bei der Zusammenarbeit mit dem Kongress ankommt, weiss der frühere Senator von Delaware aus jahrzehntelanger Erfahrung ebenfalls bestens. Biden hat auch den Vorteil, dass er national bekannt ist. Doch Biden, der sich vor allem als Aussenpolitiker einen Namen gemacht hat, ist nicht als guter Wahlkämpfer bekannt; zwei frühere Anläufe in Richtung Weisses Haus, 1988 und 2008, scheiterten kläglich. Eine Hypothek ist sein hohes Alter; er wäre bei Amtsantritt 78 Jahre alt. Häufige verbale Ausrutscher tragen nicht dazu bei, entsprechende Bedenken zu entkräften. Zu schaffen macht Biden seit dem September indirekt auch Trumps Ukraine-Affäre. In deren Zusammenhang wird Biden der Vorwurf gemacht, er habe sich als Vizepräsident und Schlüsselfigur für die Ukraine-Diplomatie der Administration Obama einem Interessenkonflikt ausgesetzt, weil sein Sohn Hunter zur selben Zeit Geschäfte in der Ukraine getätigt habe. (Link zu NZZ-Video)
Eine Übersicht zu allen übrigen einstigen Bewerbern finden Sie hier.
Nach seinem blamablen Abschneiden in den ersten Gliedstaaten waren die politischen Nachrufe auf Joe Biden bereits verfasst – er galt der altbekannten Dynamik der Vorwahlen entsprechend als chancenlos. Seit Beginn des herrschenden Systems hatte noch nie ein Bewerber die Nomination der Demokraten errungen, der nicht in Iowa oder New Hampshire auf einem der ersten beiden Plätze gelegen hatte. Dass Biden diese Wende gelang, hat mehrere Gründe.
Aufseiten der Republikaner war die Ausgangslage mit dem wieder antretenden Präsidenten immer klar. So umstritten Donald Trump noch vor vier Jahren als Bewerber war, so geeint steht die Partei nun hinter ihm. Er reichte die Unterlagen für eine neuerliche Kandidatur bei der Wahlkommission nur fünf Stunden nach seiner Vereidigung im Januar 2017 ein – so früh wie noch kein Amtsinhaber. Eine Bewerbung angemeldet hatten zudem der frühere Gouverneur von Massachusetts William Weld und der ehemalige Kongressabgeordnete Joe Walsh aus Illinois. Beide sind nicht mehr politisch aktiv und krasse Aussenseiter. In mehreren Gliedstaaten wurden die republikanischen Vorwahlen denn auch abgesagt. Sowohl Walsh als auch Weld haben das Rennen inzwischen aufgegeben. Trump hat sich die Nominierung bereits am 17. März mit einer genügenden Zahl von Delegiertenstimmen gesichert.
Ein zentrales Thema für die Demokraten ist das teure Gesundheitswesen, nachdem die republikanische Mehrheit im Kongress die als Obamacare bekannte Affordable Care Act ausgehöhlt hat. Bernie Sanders und Elizabeth Warren führen ihren Wahlkampf vor allem mit dem Schlagwort «Medicare for All». Sie propagieren damit eine Ausdehnung der bestehenden staatlichen Krankenversicherung für Rentner und Behinderte (Medicare) auf alle Amerikaner, also eine steuerfinanzierte Einheitskasse unter Ausschluss privater Anbieter. Die übrigen Favoriten plädieren dagegen für eine staatliche Kasse zusätzlich zum bestehenden System, vor allem für jene, die sich die privaten Anbieter nicht leisten können. Eine solche «public option» war unter Obama noch gescheitert. Dass nun auch die gemässigten Bewerber für eine staatliche Kasse eintreten, illustriert den Linksruck der Demokraten.
Ebenso kontrovers wird in der Partei über den Green New Deal diskutiert, eine vor allem von der aufstrebenden New Yorker Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez propagierte Resolution zum Kampf gegen den Klimawandel. Diese sieht ein nationales Investitionsprogramm vor, das die Treibhausgasemissionen mit teilweise radikalen Reformen bis 2030 auf null senken soll. Der Name des Programms spielt auf Franklin Roosevelts New Deal während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre an. Wie dieser sieht auch der Green New Deal umfangreiche Sozialprogramme vor mit dem Ziel, die «wirtschaftliche Sicherheit» durch eine Arbeitsplatzgarantie für alle Amerikaner oder den Zugang zu bezahlbaren Unterkünften zu gewährleisten. Trotz den exorbitanten Kosten unterstützen alle aussichtsreichen Anwärter der Demokraten den Plan.
Grosse Übereinstimmung besteht auch in der Steuerpolitik, fast alle Bewerber wollen Donald Trumps Reform von Ende 2017 wieder zurücknehmen, die Steuern also erhöhen. Trumps Massnahmen begünstigen nach Ansicht der Demokraten einseitig die Unternehmer und Grossverdiener. Die beiden linken Exponenten Sanders und Warren, aber auch Buttigieg wollen zusätzlich eine Reichensteuer für das vermögendste Prozent der Bevölkerung.
Trumps Richterernennungen für den Supreme Court und die zahlreichen Gesetzesverschärfungen in republikanisch regierten Gliedstaaten haben auch die Abtreibung zum Wahlkampfthema gemacht. Alle demokratischen Anwärter wollen an der Regelung nach dem Leiturteil Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 festhalten, wonach ein Schwangerschaftsabbruch bis zur Lebensfähigkeit des Fötus grundsätzlich zulässig ist. Das erlaubt das Verbot von späten Abtreibungen, was Biden in seiner politischen Vergangenheit unterstützt hat. Die übrigen Favoriten wollen den Entscheid auch in diesem Stadium der Schwangerschaft der Frau überlassen und möchten nur sehr wenige gesetzliche Einschränkungen. Alle demokratischen Bewerber plädieren zudem für Verschärfungen im Waffenrecht, etwa obligatorische Leumundsprüfungen bei jedem Waffenkauf.
Die von Trump veranlasste Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani hat zudem einen Fokus auf die Aussenpolitik gelegt. Fast alle Demokraten wollen, dass die USA sich wieder an das Atomabkommen mit Teheran halten. Umstritten ist dagegen die harte Linie, die Trump mit dem Handelskrieg gegenüber China verfolgt hat oder auch die Frage eines raschen Truppenabzugs aus Afghanistan.
Im Sommer finden die nationalen Parteitage statt, an denen die in den Vorwahlen ermittelten Sieger von den Delegierten offiziell zum Kandidaten der Partei nominiert werden. Die Convention der Demokraten, die eigentlich am 13. Juli hätte beginnen sollen, ist wegen der Corona-Pandemie verschoben worden und soll nun ab 17. August stattfinden. Austragungsort ist Milwaukee, die grösste Stadt des wichtigen «Swing State» Wisconsin. Die Republikaner küren Trump an ihrem Parteitag in Charlotte im Staat North Carolina. Er beginnt am 24. August.
Bedeutende Kandidaturen von Drittparteien zeichnen sich nicht ab. Der unabhängige Kongressabgeordnete Justin Amash hat aber angekündigt, ein Antreten für die Libertäre Partei zu sondieren. Amash stammt aus Michigan und wurde 2010 von der Tea-Party-Welle in den Kongress gespült. Er verliess die Republikaner im letzten Sommer aus Enttäuschung über Donald Trump. Nun will er Konservativen eine Alternative zu diesem bieten. Seit der Entstehung des modernen Zweiparteiensystems der USA blieben Bewerbungen von Drittparteien jeweils aussichtslos, aber sie können allemal den Ausgang der allgemeinen Wahl beeinflussen. Viele Republikaner beklagten 1992, dass das Antreten des Parteiunabhängigen Ross Perot Präsident George Bush die Wiederwahl gekostet hatte. Ohne die Kandidatur Ralph Naders für die Grüne Partei hätte wiederum der Demokrat Al Gore im Jahr 2000 wahrscheinlich den Gliedstaat Florida und damit die Wahl zum Präsidenten gegen George W. Bush gewonnen.
Anfang September beginnt die Intensivphase des Wahlkampfs. Ende September ist die erste Fernsehdebatte der beiden Kandidaten geplant, zwei weitere sind für Oktober vorgesehen. Dieser Monat ist auch legendär für mögliche überraschende Wendungen, die «October Surprises». Vor vier Jahren etwa veröffentlichte die «Washington Post» Anfang Oktober Aufnahmen für die Sendung «Access Hollywood» aus dem Jahr 2005, in der Trump mit sexuellen Übergriffen auf Frauen geprahlt hatte. Ende Oktober kündigte der damalige FBI-Direktor James Comey zudem an, im E-Mail-Skandal Hillary Clintons die Ermittlungen wiederaufzunehmen.
Die Präsidentschaftswahl schliesslich findet immer am ersten Dienstag nach dem 1. November statt, dieses Jahr also am 3. November.
«Too close to call» – fast alle ernsthaften politischen Beobachter und Demoskopen halten den Ausgang der Wahl im November derzeit für völlig offen. Trump setzte ganz auf die Loyalität seiner eingefleischten Anhänger und die gute Wirtschaftslage, die ihm eigentlich den Wiedereinzug ins Weisse Haus hätte sichern sollen. Doch die Corona-Pandemie wird die USA in eine tiefe Rezession stürzen und Millionen Amerikaner den Arbeitsplatz kosten. Die Beurteilung des Krisenmanagements Trumps wird wohl über seine Wiederwahl entscheiden. Biden könnte davon profitieren, dass die Amerikaner ihn gut kennen und er als Vizepräsident Obamas reichlich Erfahrung mit herausfordernden Situationen hat.