Kai Diekmann im Interview

"Ein europäisches Facebook oder Netflix hätte keine Chance"

Kai Diekmann
Storymachine
Kai Diekmann
Einer der profiliertesten Journalisten des Landes tritt als Speaker beim Deutschen Medienkongress 2019 auf: Kai Diekmann, von 2001 bis 2015 Chefredakteur von „Bild“. Aktuell kümmert er sich um neue Projekte: den Zukunftsfonds, die Content-Plattform „Zaster“ und die Social-Media-Agentur Storymachine. Wie es um diese Projekte steht und wie er die Zukunft der Mediennutzung sieht, verrät der 54-Jährige im Gespräch mit HORIZONT.
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Herr Diekmann, Sie wollen die Deutschen dazu bringen, endlich ihr Geld besser anzulegen. Dazu haben Sie gemeinsam mit Ihrem Schulfreund Leonard Fischer den „Zukunftsfonds“ ins Leben gerufen. Ein halbes Jahr nach dem Verkaufsstart ist der Fonds rund 15 Millionen Euro schwer – was viele Medien als „Fehlstart“ interpretieren. Zu Recht? Unsinn. Alle Finanzexperten – und ich bin keiner – wissen, dass ein Fonds Zeit braucht und man Erfolg nicht nach zwölf, neun oder gar sechs Monaten beurteilen kann. Mit dem „Zukunftsfonds“ haben wir uns zwei ganz dicke Bretter vorgenommen: Wir wollen – erstens – die Deutschen dazu bewegen, etwas für ihr Geld zu tun und deshalb am Kapitalmarkt zu investieren. Und das sollen sie – zweitens – auch noch digital tun. Das braucht Zeit. Und deshalb planen wir unsere PR-Aktivitäten auch über drei Jahre, zum Beispiel aktuell mit unseren Kampagnen in der „Welt“ und „Welt am Sonntag“ – zehn Wochen lang jede Woche in beiden Titeln eine ganze Anzeigen-Seite zu aktuellen Anlage-Themen. Dieses Thema braucht Geduld – und die haben wir.


Sie haben parallel die Online-Plattform „Zaster“ gestartet. Wozu? Gibt es nicht schon genügend Finanzinformationen im Netz? „Zaster“ unterscheidet sich grundlegend von anderen Angeboten, weil das Thema Geld in „Zaster“ sehr breit und vor allem auch sehr unterhaltsam behandelt wird. Bei „Zaster“ geht es zuallererst nicht um Börsenkurse, sondern um alle Aspekte des Lebens, die durch die Geld-Brille betrachtet werden können. Dazu gehört eben auch mal ein Beitrag über die „10 besten Bankräuber-Filme“ aller Zeiten.

Was die großen digitalen Plattformen angeht, sind wir in Europa leider digitale Habenichtse.
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Warum wird auf „Zaster“ nicht direkt für den „Zukunftsfonds“ geworben? Das werden wir später sicher tun, wenn die Reichweite höher ist. Dann wollen wir „Zaster“ möglicherweise auch anderen Finanzdienstleistern für Kooperationen anbieten. Zunächst geht es aber darum, vor allem die jüngere Generation überhaupt für das Thema Geldanlage zu interessieren. Die Deutschen haben rund 2,3 Billionen Euro auf der hohen Kante, ohne dafür Zinsen zu erzielen – das ist doch Wahnsinn!

Welche Reichweite erzielt „Zaster“ denn zurzeit? Auf Twitter haben wir mittlerweile 1500 Follower – das hat für mich die größte Bedeutung, weil das ein sehr wichtiger Kanal für unsere Zielgruppe ist. Zahlen über Website-Besucher oder Visits geben wir vorerst nicht bekannt.

„Zaster“ wird redaktionell von Storymachine bestückt, der Social-Media-Agentur, die Sie gemeinsam mit Ex-Stern.de-Chefredakteur Philipp Jessen gegründet haben. Was macht Storymachine sonst? Wer sind die Kunden? Sie wissen doch, dass wir über unsere Kunden nicht sprechen. Storymachine versteht sich als Ghostwriter – unsere Kunden nicht öffentlich zu nennen, das gehört zu unserem Geschäftsmodell. Ein sehr erfolgreiches Modell übrigens, was man an der massiven Nachfrage sieht. Und auch daran, dass das Team innerhalb von zehn Monaten auf über 30 Mitarbeiter gewachsen ist.

Einen großen Teil des Publikums erreicht man über die linearen Medien nicht mehr, aber 31 Millionen Deutsche sind auf Facebook. Diesen Tatsachen muss man ins Auge sehen.
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Die was genau machen? Sie produzieren hochwertige Inhalte für Unternehmen, die in den sozialen Medien mit ihren Zielgruppen kommunizieren. Einen großen Teil des Publikums erreicht man über die linearen Medien nicht mehr, aber 31 Millionen Deutsche sind auf Facebook. Diesen Tatsachen muss man ins Auge sehen.

Schmerzt Sie das als ehemaliger „Bild“-Chefredakteur? Hier findet ein disruptiver Prozess statt, den wir nicht zurückdrehen können. Die klassischen Medien waren lange Zeit die Gatekeeper, die darüber entschieden haben, wer mit welchen Botschaften Zugang zu einem Massenpublikum findet. Vorbei! Über die sozialen Medien kann heute theoretisch jeder ein Massenpublikum erreichen. Donald Trump macht vor, wie man Twitter sehr wirkungsstark einsetzt. Roosevelt hat dazu das Radio genutzt, Kennedy das Fernsehen. Interessant, dass es immer wieder US-Präsidenten waren, die gezeigt haben, was man aus einem neuen Medium herausholen kann.

Aber leben die sozialen Medien nicht parasitär von den Diskursen, die von den klassischen Medien angestoßen werden? Das Gegenteil ist der Fall! Es ist doch immer mehr so, dass traditionelle Medien ihre Themen aus den sozialen Netzwerken generieren: der Tweet von Joe Kaeser über die AfD, der Linkedin-Beitrag von Philipp Lahm über die Zukunft des DFB oder das Instagram-Foto-des-Tages, das sie überall gedruckt finden – nicht zu vergessen die sogenannten Shitstorms die im Netz entstehen und sich dann in „das sagt das Netz…“-Artikeln niederschlagen. Die Liste kann ich endlos fortsetzen. Das sieht übrigens auch der gedruckte „Spiegel“ nicht anders. Die schrieben kürzlich in einer Titelstory: „Das, was Öffentlichkeit ist, wird heute in den sozialen Netzwerken hergestellt.“

DMK 2019
Der 11. Deutsche Medienkongress findet am 22. und 23. Januar 2019 in der Alten Oper Frankfurt statt. Das zweitägige Branchentreffen liefert News, Trends und Inspiration von Unternehmenslenkern, Querdenkern und kreativen Köpfen aus Unternehmen, Medien und Agenturen. Einer der Höhepunkte der Veranstaltung ist die Verleihung des HORIZONT Award an die Männer und Frauen des Jahres 2018. Alle Informationen gibt es auf der Website des Deutschen Medienkongresses. Der Normalpreis für die Teilnahme beträgt 1399 Euro. Frühbucher-Tickets sind bis zum 31. Dezember zum reduzierten Preis von 899 Euro erhältlich. Darüber hinaus gibt es bei einer Anmeldung ab dem dritten Teilnehmer eines Unternehmens 50 Prozent Rabatt. Die Anmeldung berechtigt gleichzeitig zum kostenfreien Besuch des HORIZONT Award. Veranstalter des Deutschen Medienkongresses 2019 sind HORIZONT und dfv Conference Group.
Sie haben sich in einem Interview kürzlich dagegen ausgesprochen, als Verlag auf das Leistungsschutzrecht zu pochen. Warum sollten Inhalte nicht rechtlich geschützt sein? Meine Aussagen dazu sind von Online-Medien missverständlich aufgegriffen worden. Was das Leistungsschutzrecht angeht, war der Weg das Ziel – nämlich im Zuge der Klage Google an den Verhandlungstisch zu zwingen und als Publisher von Google auf Augenhöhe ernstgenommen zu werden. Das war erfolgreich. Woran ich nicht glaube, ist, dass es mit Regulierung gelingen kann, die fortschreitende Digitalisierung aufzuhalten. Das Leistungsschutzrecht als Instrument wird das bisherige Geschäftsmodell der Zeitungen und Zeitschriften nicht retten, das muss allen klar sein. Ich glaube auch nicht an europäische Lösungen in Feldern, in denen der Zug längst abgefahren ist: Ein europäisches Facebook oder Netflix hätte keine Chance – die Nutzer haben längst darüber abgestimmt, was sie wollen. Es wäre auch sinnlos gewesen, McDonald’s nachzubauen – wenn die Leute das Original wollen, sollen sie es bekommen. Was die großen digitalen Plattformen angeht, sind wir in Europa leider digitale Habenichtse. Daran ändert aber nicht die Politik etwas, sondern nur Kreativität und Innovationskraft. Und da haben wir leider sehr viel verpasst.

Über welche Medien informieren Sie sich persönlich? Lesen Sie noch Zeitung? Wie gesagt: Twitter ist ein hervorragendes Tool, um Inhalte nicht zu verpassen, die mir in der analogen Welt wahrscheinlich entgangen wären. Ich glaube an das algorithmische und kuratorische Recommendation-Modell, das Spotify groß gemacht hat. Als wir die Upday-App bei Axel Springer entwickelt haben, war deshalb für mich einer der wichtigsten USPs der App, Inhalte personalisiert auszuliefern zu können – zu einem Teil algorithmisch ermittelt und zu einem anderen Teil von Redakteuren kuratiert. All diese Medien nutze ich gern auf dem Smartphone. Aber am Wochenende, da setze ich mich ganz gemütlich hin und genieße die Haptik der guten alten Sonntagszeitung.

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