Jonas Thaysen, Instagram
Vertical Video

Was Agenturen und Marken von der Instagram-Community lernen können

Im Moment befinden wir uns mitten in einer Video-Revolution: Das traditionelle, horizontale 16-zu-9-Format wird auf den Kopf gestellt - oder vielmehr um 90 Grad gedreht. Vertikale Videos bleiben auch 2019 ein zentrales Thema für Kreative und Werbungtreibende. Jonas Thaysen, Head of Creative Shop DACH bei Instagram & Facebook, nennt in seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online die Gründe und erklärt, was Agenturen und Marken in Sachen Vertical Video Content von der Instagram-Community lernen können.
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Ich werde in meiner Rolle als Head of Creative Shop für die DACH-Region immer wieder gefragt, warum Unternehmen jetzt auf vertikale Formate setzen sollen. Die Antwort ist ganz einfach: Mittlerweile halten die Menschen ihr Smartphone zu 90 Prozent der Zeit senkrecht. Immer weniger Konsumenten drehen ihr mobiles Gerät, um Fotos und Videos im Vollbildformat zu sehen. Clever eingesetzte vertikale Videoinhalte – die einst als amateurhafter Fehler abgetan wurden – sind heute oft Vorreiter im fantasievollen Storytelling. 

Doch wie kreiert man eigentlich Inhalte im Vertikalformat? Wir haben Illustratoren, Videoproduzenten, Kalligrafen und Grafiker aus allen Ecken der Welt gefragt und fünf praktische Tipps und Beispiele zusammengetragen. Dabei fällt vor allem eins auf: Kreative, Agenturen und Unternehmen müssen anders denken, experimentieren und mit existierenden Regeln brechen.

Der Autor

Seit Januar 2018 ist Jonas Thaysen als Head of Creative Shop DACH bei Instagram & Facebook. Er unterstützt Unternehmen und Agenturen dabei, die richtigen Menschen über die digitalen und mobilen Formate der Plattformen mit für sie interessanten Botschaften zu erreichen. Der Creative Shop arbeitet mit Unternehmen daran, die Möglichkeiten des Marketings auf Facebook und Instagram auf eine aufmerksamkeitsstarke, kreative und relevante Weise einzusetzen. Bevor Jonas 2014 zu Facebook wechselte, war er als Strategy Director bei AKQA London und als Senior Strategist bei Glue Isobar London tätig, wo er globale Projekte für Kunden wie Nike, adidas oder MINI betreute. Seine Karriere begann Jonas als Creative bei Scholz & Friends Berlin.

1. Den Rahmen ausnutzen

"Wenn wir heute ein vertikales Framing schaffen wollen, müssen wir 100 Jahre Filmgeschichte aus dem Fenster werfen." Diese Worte des brasilianischen Filmemachers Marcel Izidoro (@mmizidoro) aus Sao Paulo könnten die Situation nicht besser beschreiben. Der Blick durch den Sucher einer Kamera war seit jeher horizontal. Natürlich müssen wir jetzt zuerst einmal alle darüber nachdenken, wie man den vertikalen Bildausschnitt ideal nutzen und die Welt im Portrait betrachten kann.

Genau das haben zum Beispiel die Zeichner von Parallel aus Paris (@parallel_studio_) im Video "Life in Vertical" gemacht. Sie haben sich von den Grenzen des vertikalen Rahmens inspirieren lassen und entwickeln animierte Grafiken von Objekten, die jeder kennt, und zwingen diese einfach in das vertikale Format. "Um in 9:16 richtig zu kreativ zu werden, ist es am besten, erst gar nicht mit 16:9 zu beginnen. Nutzt die vermeintlichen Einschränkungen des Hochformats von Anfang an. Wir möchten, dass die Menschen sich auf diese mentale Gymnastik einlassen und überlegen, wann es witzig sein könnte, etwas vertikal zu schauen. Dies erfordert eine neue Arbeitsweise und man muss sich dazu zwingen, alles zu vergessen, was man bisher gemacht hat."

Der deutsche Instagrammer Samuel Jurcic (@lookoflal) hatte es vielleicht etwas leichter, weil seine Muse ein Hund ist – und ein sitzender Hund ist eben von Natur aus vertikal. Im Beispielvideo "German with LAL" sieht man, wie er den durch das Format vorgegebenen Rahmen nutzt. "Im vertikalen Rahmen kann man eine ganze Reihe von Dingen darstellen, die eben im Querformat nicht möglich wären", sagt er.

Samuel Jurcic (@lookoflal)

Auch vom Selfie, einer klassischerweise vertikalen Kreation, kann man sich inspirieren lassen. Das Aufnehmen eines Selfies zwingt uns dazu, ein einzelnes Motiv zu fokussieren. Mithilfe von Nahaufnahmen kann die Bildfläche optimal ausgenutzt werden. Das passt auch dazu, wie die Menschen letztlich die Vertikalformate ansehen – nämlich in den allermeisten Fällen mobil. Eine Nahaufnahme auf dem Smartphone lässt den Betrachter Details erkennen, die sonst vielleicht nicht sichtbar wären.

2. Nach oben und unten denken

Bei horizontalen Aufnahmen ist es ganz natürlich, dem Bild von links nach rechts zu folgen. Diese Art der "Pan-and-Scan"-Technik ist gängig, da sie die Horizontlinie eines Bildschirms berücksichtigt. Vertikalvideos erschüttern diese Erkenntnis. Das natürliche Scan-Verhalten fokussiert jetzt als Richtung unten und oben, weil die Betrachter wissen wollen, was über und unter dem Bild vor sich geht. 

Birdy Ben (@elmotionlab), Creative Director des Studios Elmo Paris, macht diesen Perspektivenwechsel mit Pinballs deutlich. Indem das Video dem Weg der Schwerkraft der Silberkugel folgt, nutzt es die Auf- und Ab-Bewegung der Vertikalen voll aus. "In diesem Video kann der Betrachter bereits im Voraus erahnen, was als Nächstes passieren wird", sagt er. "Ein solches vertikales Video braucht natürlich einige grundlegende Regeln für das grafische Design, aber das ist kein Hexenwerk."

Das Auf- und Abfließen ist auch ein entscheidendes Element in den Kreationen der japanischen Künstlerin Ipnot (@ipnot). Die lustige Stop-Motion-Animation "Magic Box" verändert Alltagsgegenstände, während sie sich über den Bildschirm hinweg von oben nach unten bewegen. "Bei der Produktion des vertikalen Videos wollte ich eine Welt erschaffen, die auf der Ober- und Unterseite völlig anders aussieht. In der sich der Gegenstand, der von oben kommt, im Handumdrehen unten in etwas anderes verwandelt", sagt sie.

3. Den Bildschirm teilen

Split-Screen-Videos sind nichts Neues, bisher kennen wir sie allerdings nur in horizontaler Anordnung: Während auf der linken Seite des Bildschirms eine Szene gezeigt wird, sieht man auf der rechten Seite beispielsweise etwas, das zeitgleich woanders passiert. Auch der vertikale Screen kann in einen oberen und einen unteren Bereich aufgeteilt werden, wenn es beispielsweise um Inhalte geht, bei denen das typische Breitbildformat besonders gut passt.
Clever eingesetzte vertikale Videoinhalte – die einst als amateurhafter Fehler abgetan wurden – sind heute oft Vorreiter im fantasievollen Storytelling.
Jonas Thaysen
Der Instagram Account von Combophoto (@combophoto), ein Art Director aus Marietta, Georgia, zeigt verschiedene Objekte, die zu humorvollen Bildern kombiniert werden – beispielsweise einen Pinsel, dessen Borsten aus Spaghetti sind oder ein Kopfhörer, deren Ohrpolster Donuts sind. Sein Video mit dem Titel "The Climb" bringt Bewegung in diese Art von Flip-Book-Kombinationen. "Mein kreativer Zugang zum vertikalen Format ist, dass ich vier horizontale Bildschirme übereinander staple. Allerdings teile ich den Bildschirm nicht in verschiedene Objekte oder Situationen, sondern mich selbst. Ich komme in jedem Segment vor und alles bewegt sich durch den Split. Ich denke Instagram immer als Spiel und mein Ziel ist es, die Leute so lange wie möglich an meine Geschichte zu binden." 

Auch die Desi-Pop-Art-Künstlerin Maria Kumar (@hatecopy) bricht in ihren Videos die Leinwand auf. "Für eines meiner Projekte habe ich den Bildschirm in zwei Hälften geteilt, so dass auf der oberen Hälfte eine Seifenoper lief, während auf der unteren Hälfte mein Computer zu sehen ist, auf dem ich zeichne. So können die Zuschauer den Ausdruck der Charaktere und den Ausdruck meiner Illustration gleichzeitig verfolgen."

4. Mit Schrift und Design spielen 

Das Schöne an Vertikalvideos ist, dass sie viel Platz für Text bieten, der den Bildern nicht im Wege steht. Durch verschiedenen Schriften und Designelementen kann das spielerische, kreative Gefühl der Vertikalvideos noch zusätzlich unterstrichen werden. 

Nicholas Makrides (@thescranline)

Der Konditor und Grafikdesigner Nicholas Makrides (@thescranline) teilt Videos von Cupcakes, Kuchen und Makronen auf seinem Instagram Feed. Sein "Challenge-Accepted"-Video ist eine Antwort auf die Kommentare seiner Follower, dass er viel zu viel Zuckerguss verwende. "Ihr denkt, dass ich viel Zuckerguss benutze? Ich kann tatsächlich noch viel mehr verwenden!" Er verwendet große, schrille und fettgedruckte Wörter, die die Betrachter herausfordern. So kann jeder seinen Videos folgen – egal ob mit oder ohne Ton. "Wenn ich vertikal filme, denke ich vorher darüber nach, wo der Text platziert werden soll und wo die Objekte stehen müssen, damit alles schön aussieht und auf einen Blick erkennbar ist", erklärt Markrides. 

Schön gestalteter Text ist auch das Markenzeichen der Australierin und Kalligraphin Liss Amya (@lissamyah). "Ich war eine der ersten Kalligraphinnen, die damit angefangen hat, Prozessvideos zu teilen", sagt sie. "Als Künstlerin arbeite ich meistens in einem vertikalen Rahmen. Also fällt es mir sowieso schwerer, horizontal zu filmen." 

Liss Amya (@lissamyah)

5. Sich etwas trauen

Bei all diesen Tipps sollte man grundsätzlich nicht vergessen, dass Vertikalvideos noch ein relativ neuer Trend sind und auch die Betrachter gerade noch herausfinden, was sie sich von diesem Format erwarten. Das bedeutet im Umkehrschluss: Jetzt ist die beste Zeit, um zu experimentieren und neue Dinge auszuprobieren. Die Regeln des Querformats müssen über Bord geworfen werden und wir können alles komplett neu denken. 

Der Digitalkünstler Zeitguised (@zeitguised) experimentiert in seinem Vertikalvideo "Foam" beispielsweise mit Formen, Farben und Mustern, um abstrakte Geschichten zu kreieren. "Man spielt damit herum und bekommt dann ein Gefühl dafür, was funktioniert, während man es umsetzt", sagt er.

BVG & Jung von Matt - Swipe Up

Auch einige deutsche Unternehmen schöpfen bereits das volle Potenzial des Vertikalformats aus – so hat beispielsweise BVG gemeinsam mit Jung von Matt eine Swipe-Up-Kampagne für Instagram Stories entwickelt, die vor allem junge Nutzer dazu auffordert, sich den neuen Image Film der Verkehrsbetriebe anzuschauen. In der kreativen Umsetzung wurden dafür authentische Outtakes mit den Darstellern kreiert und dadurch spielerisch auf die Swipe-up-Funktion verwiesen.

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