Leben, Arbeit, Bildung 2035+

Wann wird die Generation KI kommen?

Pixabay.com
Wie sieht unser Leben in Zukunft aus? Wird Künstliche Intelligenz unsere Jobs oder gar uns Menschen irgendwann ersetzen? In einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung in Kooperation mit dem Münchner Kreis e.V. sollten Experten dazu ihre Einschätzungen geben. Dabei kam heraus: KI-Dystopien sind weitestgehend übertrieben, jedoch wird Künstliche Intelligenz viele Facetten unseres Lebens entscheidend prägen.
Teilen
Die Studie mit dem Titel „Leben, Arbeit, Bildung 2035+" wurde gemeinsam vom Projektteam „Betriebliche Arbeitswelt in der Digitalisierung" der Bertelsmann Stiftung und dem Münchner Kreis e.V., einer unabhängigen Plattform zur Orientierung für Gestalter und Entscheider in der digitalen Welt, veröffentlicht. Grundlegende Forschungsmethode war die Delphi-Methode, bestehend aus einer zweistufigen Expertenbefragung mit vorheriger Registrierung. Das internationale Delphi, an dem von November 2019 bis März 2020 mehr als 500 Experten aus den Bereichen Technologieentwicklung, Digitalisierung und KI-Technologie teilnahmen, wurde von 11 Partnern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft unterstützt. Als Erhebungsmethode wurde CAWI gewählt.
Methode
Grundlegende Forschungsmethode war die Delphi-Methode. Am internationalen Delphi, das von November 2019 bis März 2020 stattfand, nahmen mehr als 500 internationale Experten teil. Als Erhebungsmethode wurde CAWI gewählt.
Künstliche Intelligenz (KI) ist Trendthema. Häufig drehen sich Diskussionen über die durch KI verursachten Veränderungen jedoch um Sorgen und Ängste der Menschen, beispielsweise davor, im Job von Maschinen ersetzt zu werden. Dieser oftmals negativen Behaftung des Themas KI will die Zukunftsstudie entgegenwirken: Mithilfe einer soliden Datenbasis sollten die Nutzen der KI für Wirtschaft, Gesellschaft und Gemeinwohl herausgearbeitet werden. Im Zuge der Befragung gaben Experten ihre Einschätzung zu 53 erarbeiteten Thesen, die vom Einfluss der KI auf die Bereiche Leben, Arbeit und Bildung handeln. Außerdem schätzten sie ein, wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit die jeweilige Aussage eintreten könnten.

KI ist nicht gleich KI

Um differenzierte Aussagen zum Einfluss der KI auf unser Leben treffen zu können, müssen zunächst unterschiedliche KI-Typen unterschieden werden, denn KI ist nicht gleich KI. KI-Technologie mit rein reaktiven Eigenschaften und solche mit begrenztem Gedächtnis, beispielsweise selbstfahrende Fahrzeuge und digitale Assistenten, finden bereits heute Anwendung. Bei ersterem Typen sagen 87 Prozent der Befragten, dass dieser zwischen 2020 und 2024 breite Anwendung erreichen wird, bei letzterem rund 47 Prozent. KI mit Verstand, die Gedanken und Emotionen interpretieren und das menschliche Verhalten beeinflussen kann, ist jedoch erstmal noch Zukunftsmusik: 37 Prozent der Experten sagen, ein solcher KI-Typ wird zwischen 2030-2034 breitere Anwendung finden. Eine KI mit eigenem Selbstbewusstsein, die vom Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist, halten die meisten Befragten, nämlich 53 Prozent, für unmöglich.
Transparenz und Gemeinnützigkeit sind zwei der wichtigsten Anforderungen, die die Experten an KI-Technologien stellen.
Münchner Kreis / Bertelsmann Stiftung
Transparenz und Gemeinnützigkeit sind zwei der wichtigsten Anforderungen, die die Experten an KI-Technologien stellen.
Wie also wirken sich diese Technologien auf uns und die Art und Weise, wie wir leben, aus? Wenn es die Generation Z gibt, deren prägendes Merkmal ist, dass die meisten ihrer Angehörigen selbstverständlich mit dem Internet aufgewachsen sind, wird es in Zukunft dann auch eine „Generation KI“ geben, die völlig selbstverständlich und intuitiv KI-Systeme als integralen Bestandteil ihres täglichen Lebens verwendet? 22 Prozent der befragten Experten sagen: ja, dies trifft bereits zwischen 2020 und 2024 ein. Weitere 28 Prozent sehen diese These in den Jahren 2025 bis 2029 eintreffen, und eine Mehrheit von 35 Prozent hält das zwischen 2030 und 2035 für realistisch. Für die Wirtschaft würde eine „Generation KI“ überwiegend positive Auswirkungen haben, sagen 73 Prozent, während nur 41 Prozent positive Auswirkungen auf die Gesellschaft vermuten.

Für die Wirtschaft werden KI-Technologien bald sogar unumgänglich sein, wenn man den Experten Glauben schenkt. Unternehmen aus Deutschland, die keine KI-Technologien nutzen, sind nicht mehr wettbewerbsfähig: 51 Prozent der befragten Experten erwarten ein Eintreffen der These innerhalb der nächsten zehn Jahre. 56 Prozent sagen, dies würde sich negativ auf die Wirtschaft auswirken, und 54 Prozent sagen dasselbe über den Effekt auf die Gesellschaft.

Wo sich die Experten gespalten zeigen

Auch wenn die Studie die positiven Seiten der KI hervorheben will, kommt sie nicht umher, auch Ängste zu thematisieren. In Deutschland hat die zunehmende Durchdringung vieler Lebensbereiche mit KI-Technologien dazu geführt, dass ein Großteil der Bürger diese als eine Bedrohung empfindet und bewusst ablehnt: 42 Prozent der Befragten erwarten ein Eintreffen dieser These innerhalb der nächsten zehn Jahre, aber gleichzeitig lehnen ganze 27 Prozent die These auch ab.
Wird es eine Generation KI geben? 50 Prozent der Experten sagen ja, und zwar schon in den nächsten zehn Jahren.
Münchner Kreis / Bertelsmann Stiftung
Wird es eine Generation KI geben? 50 Prozent der Experten sagen ja, und zwar schon in den nächsten zehn Jahren.
Die Aussage, dass KI-Technologie dazu führen wird, dass das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung in Deutschland nicht mehr gilt, lehnen sogar 37 Prozent ab, aber gleichzeitig erwarten auch 34 Prozent der befragten Experten ein Eintreffen der These innerhalb der nächsten zehn Jahre. Ähnlich sieht es bei folgender These aus: Die faktische Nutzung KI-basierter Produkte und Services hat in Deutschland das Prinzip „Datenschutz“ aufgelöst. 40 Prozent gehen davon aus, dass sich das Prinzip „Datenschutz“ niemals auflösen wird, 20 Prozent erwarten ein Eintreffen innerhalb der nächsten zehn Jahre und 33 Prozent später als 2030.

Die Maschine kann nicht ohne den Menschen

Eine andere Sorge, nämlich, dass Maschinen die Menschen aus ihren Jobs verdrängen, ist laut der Experten weitestgehend unbegründet: 64 Prozent von Ihnen erwarten, dass Unternehmen in den nächsten zehn Jahren die menschlichen Kompetenzen in der Interaktion zwischen Menschen und Maschine in den Vordergrund stellen und diese Kompetenzen kontinuierlich weiterentwickeln.

Auch bringt Künstliche Intelligenz neue Tätigkeitsfelder hervor, die sich datengestützt deutlich schneller und valider vorhersagen lassen und den zielgerichteten Kompetenzaufbau im Unternehmen ermöglichen, und das schon innerhalb der nächsten zehn Jahre, sagen 52 Prozent der Befragten. 31 Prozent denken, diese These trifft erst nach 2030 ein. KI-Technologien werden den Menschen also wohl nie ganz ersetzen, jedoch durchaus die Art, wie wir arbeiten, verändern. 76 Prozent aller Befragten glauben, dass KI in Zukunft administrative Aufgabenbereiche wie Aufgabenplanung, Zielerreichung und Kontrolle übernehmen wird. Der Mensch ist dann hauptsächlich für Personalführung, Motivation und Kreativleistungen verantwortlich. 80 Prozent der Experten erwarten dadurch positive Effekte für die Wirtschaft.

Wie KI unsere Bildung verändern könnte

Die Verlagerung des menschlichen Tätigkeitsbereichs könnte auch Einfluss auf den Bereich Bildung haben. Eine These aus diesem Bereich lautet: Da in einer von KI-Systemen durchdrungenen Arbeitswelt Menschen nur noch kognitiv anspruchsvolle und kreative Tätigkeiten übernehmen, hat sich der Kampf um „kreative Talente“ in Deutschland drastisch verschärft. Dass dies in den nächsten zehn Jahren eintreffen wird, dem stimmen 62 Prozent der Befragten zu. „Der Kampf um kreative Talente wird bis zum Ende des Jahrzehnts evident sein“, formulieren es die Studienherausgeber.
KI verändert zwar das Bildungssystem, ersetzt es aber nicht: 52 Prozent der Experten gehen davon aus, dass KI-Technologien das etablierte Bildungssystem wahrscheinlich nie auflösen werden.
Münchner Kreis / Bertelsmann Stiftung
KI verändert zwar das Bildungssystem, ersetzt es aber nicht: 52 Prozent der Experten gehen davon aus, dass KI-Technologien das etablierte Bildungssystem wahrscheinlich nie auflösen werden.
Gleichzeitig halten es 52 Prozent für wahrscheinlich, dass menschliche Fähigkeiten wie Gedächtnisleistung und Fertigkeiten wie das Kopfrechnen sich durch die ständige Verwendung von KI-Technologien innerhalb der nächsten zehn Jahre spürbar verändern. 28 Prozent gehen davon aus, dass dies erst nach 2030 eintritt und 18 Prozent lehnen die These komplett ab. Negative gesellschaftliche Auswirkungen im Bereich Bildung könnten vor allem durch den unterschiedlichen Zugang zu KI-Technologien hervorgerufen werden. Dass dies innerhalb der nächsten zehn Jahre zu einer Spaltung der Gesellschaft führt, glauben 42 Prozent der Experten. Und nach 2030, so die Meinung von 58 Prozent der Befragten, wird jeder Arbeitnehmer hierzulande über eine KI-Grundqualifikation verfügen.

Corona als Katalysator

Wie überall warf auch bei der Durchführung der Zukunftsstudie die Corona-Pandemie einiges aus der gewohnten Bahn. Da die Pandemie und deren Auswirkungen nicht einfach so übersehen werden können, entschlossen sich die Macher der Studie, im April diesen Jahres eine Sonderbefragung zu starten und 211 deutsche Experten zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf KI-Technologien zu fragen. Die meisten von ihnen, nämlich 85 Prozent, erwarten durch die Krise einen zunehmenden Einsatz von KI im Gesundheitssektor.
Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub in Deutschland kann sich positiv und beschleunigend auf die Entwicklung und Nutzung von KI-Technologie auswirken! Die Weichen müssen jetzt gestellt werden, um Risiken zu vermeiden sowie die potenziellen Chancen nicht zu verschlafen, sondern sie zu ergreifen.
Zukunftsstudie Leben, Arbeit, Bildung 2035+
Der Aussage, dass durch Corona mehr KI-Technologien im beruflichen Kontext Anwendung finden, stimmen 58 Prozent eher oder voll und ganz zu; ebenso viele prognostizieren einen höheren Automatisierungsgrad in Industrie und Fertigung. Allgemein suggeriert die Sonderbefragung, dass die Corona-Pandemie auf alle drei Fokusbereiche der aktuellen Zukunftsstudie – Leben, Arbeit und Bildung – Auswirkungen haben wird. Am stärksten jedoch, so die Macher der Studie, wird sie auf die Veränderung zwischenmenschlicher Beziehungen wirken.

Die vor und während des Ausbruchs der Pandemie gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass sich, zumindest nach Einschätzung der Experten, die Diskussion zum Thema KI weg von der rein technischen Betrachtungsweise und hin zu einer Nutzer- und Gemeinwohlorientierung wandelt. „Die bis 2035 und darüber hinaus am stärksten von KI-Technologien beeinflussten Lebensbereiche“, so heißt es im Fazit der Herausgeber, „werden nach Auffassung der Befragungsteilnehmer die Mobilität, der Gesundheits- und Pflegesektor, der Medienkonsum und der Bereich Arbeit sein“. Doch nicht zuletzt die Corona-Krise zeigt, dass diese Erkenntnisse laufend reevaluiert und aktuellen Entwicklungen angepasst werden müssen.

Hier geht es zur kompletten Studie>>
stats