Daumen hoch von BMW-Chef Krüger und Daimler-Boss Zetsche für die Fusion ihrer Mobilitätsmarken.

Am Genfer See zelebriert die Autobranche derzeit eine ungewohnte Einigkeit. Der Autosalon in der Schweizer Stadt, der in dieser Woche beginnt, steht ganz im Zeichen von Harmonie und Zusammenarbeit. Selbst gemeinsame Auftritte von Daimler- und BMW-Managern sind geplant, noch vor wenigen Jahren nur schwer vorstellbar auf einer der großen Automessen.

Doch nach den Kooperationen von Daimler und BMW bei autonomem Fahren und Carsharing nutzte nun auch noch Volkswagen die Autoshow, um eine erste Kooperation bei Elektroautos zu verkünden. Doch bei all der Harmonie stellt sich die Frage, ob die aus der ökonomischen Notwendigkeit geschlossenen Allianzen auch strategisch sinnvoll sind. Oder opfert die Industrie aus Angst vor neuen Wettbewerbern aus China und dem Silicon Valley gerade die Unterscheidbarkeit ihrer Modelle?

Lest auch

„Wir werden harte Wettbewerber im Kerngeschäft bleiben“, sagt BMW-Chef Harald Krüger in Genf. Aber was soll das eigentlich noch sein, dieses Kerngeschäft? Wenn in Zukunft womöglich nicht nur die Software im Auto identisch ist, die den Fahrer sicher ans Ziel fährt, sondern auch noch der gleiche Elektroantrieb im Auto steckt, wer soll dann eigentlich noch einen BMW von einem Mercedes unterscheiden können? Was macht einen Volkswagen aus und unterscheidet ihn von einem Hyundai?

Automanager sprechen in diesem Fall von der Differenzierung. „Wir müssen markenauthentisch bleiben“, sagt Krüger. Die Eigenschaften der Fahrzeuge müssten zur Marke und zum Produkt passen. Er denke dabei vor allem an die „Chassis-DNA“. „Die Frage, wie ein BMW um die Kurve fährt, bleibt weiterhin Kernkompetenz“, so Krüger. Marke, DNA, Authentizität – die Automanager werden ziemlich schwammig, wenn es um die Unterscheidungsmerkmale der Zukunft geht.

VW kooperiert mit Startup e.Go

Das ist nicht nur bei Krüger so. Auch der künftige Daimler-Chef und bisherige Entwicklungsvorstand des Stuttgarter Konkurrenten, Ola Källenius, bemüht den Vergleich aus der Genetik: „Jede Marke hat eine Seele, eine DNA“, sagt er in Genf. Auch er setzt vor allem auf das Design und Fahrgefühl, das sich weiterhin unterscheiden soll. „Ich habe keine Sorge, dass man sich nicht mehr differenzieren können wird“, beteuert Källenius. „Man wird immer einen Mercedes haben, der aussieht wie ein Mercedes, sich anfühlt wie ein Mercedes und sich fährt wie ein Mercedes.“ Bei der Kooperation mit BMW seien die Chancen deutlich größer als die Risiken. „Wir müssen schneller vorankommen, besonders in Zeiten der Transformation muss man Chancen ergreifen.“

Auch bei Volkswagen ist man überzeugt, dass die Kunden weiterhin lieber die Autos der Wolfsburger kaufen, auch wenn Konkurrenten dieselbe Antriebstechnologie verwenden. VW hatte am Montag eine erste Kooperation mit dem Startup e.Go bekannt gegeben, das als erstes externes Unternehmen den sogenannten Elektrifizierungsbaukasten des Konzerns nutzen will.

„Unsere elektrischen ID-Fahrzeuge werden hochattraktiv mit emotionalem Design sein und sich in Kombination mit unserem digitalen Ökosystem von den Fahrzeugen der Wettbewerber abheben“, sagt Ralf Brandstätter Welt.de, der bei der Marke Volkswagen für das operative Geschäft verantwortlich ist. „Eine Differenzierung bleibt auch dann möglich, wenn wir weiter Kooperationen schließen und auch andere Unternehmen unseren Elektrifizierungsbaukasten für ihre Modelle nutzen.“ Man wolle den Elektrobaukasten aber zum Industriestandard machen.

Das Ende der Kooperationsbereitschaft scheint noch nicht erreicht. Der künftige Daimler-Chef Källenius will keine Tabus festlegen, in welchen Bereichen man nicht zusammenarbeiten könne. Bei Krüger klingt das immerhin etwas anders: „Eine gemeinsame Fahrzeugarchitektur wäre eine ganz andere Nummer“, sagt der BMW-Chef. „Das ist im Augenblick nicht geplant.“ Nach einem dauerhaften Tabu für die Zukunft klingt auch das nicht, eher nach einer Beschreibung des Istzustandes. „Ich habe mir abgewöhnt, in unserer Branche weiter als fünf Jahre in die Zukunft zu schauen“, sagt Krüger. Dafür sei derzeit einfach zu viel im Wandel.

„Viele Firmen haben in dieser Zeit viel Geld verbrannt“

Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass bei Daimler und BMW noch eine dritte Kooperation anstehen könnte und die beiden Konzerne bei den kleineren Kompaktklassen künftig auf einer gemeinsamen Plattform entwickeln könnten. Källenius wollte die Spekulationen nicht kommentieren, laut Krüger scheint zumindest in nächster Zeit keine weitere Harmoniewelle durch Autodeutschland zu rollen.

Zumindest die bereits geschlossenen Kooperationen könnten noch ausgeweitet werden. „Wir sind natürlich offen, es könnte sein, dass wir noch andere hinzunehmen“, sagt Krüger. Allerdings denke er derzeit nicht an eine Kooperation mit weiteren konkurrierenden Herstellern wie Daimler, stattdessen könne es sein, dass beispielsweise noch ein Zulieferer in die Partnerschaft aufgenommen werde. BMW sieht sich in seiner Strategie bestätigt, schließlich hatten die Münchner von Anfang an bei der Entwicklung des autonomen Fahrens sowohl auf Kooperationen beispielsweise mit dem Chiphersteller Intel oder dem Fiat-Chrysler-Konzern gesetzt und immer betont, man wolle eine offene Plattform entwickeln, die dann irgendwann hoffentlich zum Standard in der Industrie werden würde.

„Viele Firmen haben in dieser Zeit viel Geld verbrannt“, sagt Krüger. Wie viel Daimler und BMW nun einsparen, weil sie sich zusammentun, könne man noch nicht beantworten, weil man gerade erst mit den Gesprächen auf Fachebene begonnen habe – zu groß war vorher die Sorge, dass man gegen das Kartellrecht verstoßen würde, wenn man sich zu früh zu intensiv austauscht.

Gerade der Kartellverdacht – der noch immer im Raum steht – macht die neue Kooperationsfreude in der Autoindustrie so erstaunlich. Es ist noch gar nicht lange her, da war man insbesondere bei BMW gar nicht gut zu sprechen auf die Konkurrenten. Daimler und VW hatten sich als potenzielle Kronzeugen selbst angezeigt, der schwarze Peter blieb bei den Münchnern. Alle Kooperationsgespräche legte man damals erst mal auf Eis. Doch der Druck auf die Industrie durch die nötigen Milliardeninvestitionen in den Umstieg auf die Elektromobilität und die Entwicklung des autonomen Fahrens lassen ökonomisch keine lange Phase des Schmollens zu. Auch deshalb herrscht in diesen Tagen Harmonie am Genfer See.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

Bild: Getty Images /Sean Gallup