Weltwirtschaft: Harte Landung wird wahrscheinlicher

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Zu Beginn des letzten Quartals wird eine harte Landung der Wirtschaft immer wahrscheinlicher. Gründe sind neben den höheren Finanzierungskosten der stark gestiegene Dollar, die Energiekrise in Europa und die Wachstumsabkühlung in China. Worauf sollten Anleger in dieser schwierigen Gemengelage achten, und gibt es erste Anzeichen für eine Wende zum Besseren?

„Der Winter steht vor der Tür. Damit verschärft sich die Energiekrise, die die Energiesicherheit in vielen europäischen Ländern bedroht“, sagt Salman Ahmed, Global Head of Macro im Bereich Strategic Asset Allocation bei Fidelity International. „In den Industrieländern steigen die Zinsen weiter und treiben Europa, aber zunehmend auch die USA, in eine Rezession. Derweil zieht der immer stärker werdende Dollar Kapital aus anderen Regionen ab. In Großbritannien schickte die neue Regierung Staatsanleihen mit nicht gegenfinanzierten Steuersenkungen auf Talfahrt und zwang die Bank of England zum Eingreifen. Ein möglicher Silberstreif am Horizont könnte jedoch aus China kommen. Dort könnten Zentralbank und Regierung die negativen Auswirkungen der Null-Covid-Politik und des angeschlagenen Immobiliensektors mit gezielten Maßnahmen abmildern.“

Vor diesem Hintergrund hebt Salman Ahmed drei zentrale Themen hervor, die Anleger bis zum Jahresende im Auge behalten sollten:

  1. Weiche, harte oder Bruchlandung der Weltwirtschaft?

Die Hoffnung, dass die US-Notenbank schon bald von ihrem Straffungskurs abrücken könnte, hat sich zerschlagen. Bei zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen erhöhte die Fed den Leitzins um jeweils 75 Basispunkte, und seit dem Zentralbanktreffen in Jackson Hole Ende August schlägt sie ausnahmslos restriktive Töne an. Die Währungshüter scheinen fest entschlossen, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, selbst wenn das die heimische Wirtschaft in eine Rezession stürzen sollte. Bislang jedoch sind die Wirtschaftsdaten in den USA nach wie vor relativ robust. Die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt hält an, und der hohe Preisauftrieb setzt sich fort. Unsere Indikatoren zur künftigen Aktivität haben sich im August verbessert. Zudem setzt der Dollar seinen Höhenflug fort. Mit einer harten Landung der US-Wirtschaft rechnen wir inzwischen erst Mitte 2023.

In Europa scheint eine Rezession dagegen unmittelbar bevorzustehen. Die Region kämpft mit einer schweren Energiekrise, die nach unseren Analysen das BIP-Wachstum im Euroraum um vier bis fünf Prozent schmälern könnte. Hohe Preise sowie die Gefahr leerer Gasspeicher dämpfen die Konsumlaune und bremsen die Industrie aus. Zuletzt hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins um 0,75 Prozent angehoben. Aber weil sich die Aussichten weiter verdüstern, schließt sich zusehends das Zeitfenster für weitere Zinserhöhungen.

  1. In China richten sich alle Augen auf den Parteitag

Während Europa und die USA mit einer Rezession ringen, entwickelt sich die Geldpolitik in China in die entgegengesetzte Richtung. Die meisten Industrieländer ziehen derzeit die geldpolitischen Zügel an, die im Reich der Mitte dagegen weiter gelockert wurden. Dort hat man zudem noch Spielraum für weitere Zinssenkungen. Aber auch China sieht sich im Winter mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Bisher verlief die Konjunkturerholung nach den Lockdowns, die die Regierung im Rahmen ihrer Null-Covid-Politik verhängt hatte, eher durchwachsen. Nun belebt sich die Konjunktur, aber neuerliche massive Beschränkungen und der im Umbruch befindliche Immobiliensektor hinterlassen Spuren in Chinas Wirtschaft. Darauf reagiert Peking mit zusätzlicher fiskalischer und geldpolitischer Unterstützung, die die Aussichten für das Riesenreich zu Beginn des vierten Quartals deutlich aufhellen dürfte. Dank der Erholung nach der Pandemie und der niedrigeren Rohstoffpreise sollte es auch bei den Gewinnen chinesischer Unternehmen aufwärtsgehen.

Nach dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober könnte sich die Stimmung weiter bessern. Wir halten Ausschau nach Hinweisen darauf, ob vom künftigen wirtschaftspolitischen Kurs Impulse für eine wachstumsorientiertere Politik ausgehen werden. Die Erwartungen im Vorfeld des Parteitags sind nach wie vor eher gedämpft. Positive Nachrichten könnten daher unmittelbar für bessere Stimmung sorgen.

  1. Von der Monetarisierung zur Fiskalisierung

Europa steht ein harter Winter bevor. Viel hängt nun davon ab, wie die Regierungen, von denen viele mit innenpolitischen Problemen konfrontiert sind, versuchen, Haushalte und Unternehmen angesichts stark gestiegener Gaspreise zu entlasten. In Großbritannien konnte man sehen, welche Risiken eine großzügige Finanzpolitik in Zeiten hoher Inflation birgt. Ein radikaler Kurswechsel der neuen Regierung hatte das Pfund Sterling auf Talfahrt geschickt und die Renditen britischer Staatsanleihen nach oben getrieben, sodass die Bank of England eingreifen musste. Unterdessen versucht sich die EZB an einer Normalisierung ihrer Geldpolitik, obwohl eine Rezession in der Eurozone so gut wie sicher ist.

Es gibt aber auch gute Gründe, nicht allzu pessimistisch zu sein. So dürften die Regierungen umfangreiche Entlastungspakete für ihre Bürger schnüren. Viele verfügen nach wie vor über hohe Ersparnisse aus der Zeit der Pandemie, auf die sie zurückgreifen können, auch wenn diese nun schnell abschmelzen. Das Vertrauen in der Region mag auf einem Tiefpunkt angelangt sein. Aber bislang behaupten sich die Einzelhandelsumsätze, während die Arbeitslosigkeit unverändert niedrig ist. Bei den anstehenden Wirtschaftsdaten zeichnet sich jedoch eine Verschlechterung ab.

Wir wissen noch nicht, wie kalt dieser Winter wird und wie sich die Gasnachfrage entwickelt. Auch wie sich die weltweit verschärften Finanzierungsbedingungen auf den künftigen geldpolitischen Kurs auswirken werden, lässt sich derzeit nicht sagen. Zudem sehen sich einige Regionen mit großen Herausforderungen konfrontiert.

Was bedeutet das für Anleger?

Fidelity International bleibt im Kern defensiv positioniert. In einem Umfeld mit vermeintlichem Mangel an attraktiven Anlagemöglichkeiten könnten sich jedoch in Asien Anlagechancen bieten und größere Lichtblicke für 2023 auftun.

Das sieht auch Taosha Wang, Multi-Asset-Portfoliomanagerin bei Fidelity International, so. „Asien wird in diesem Winter in vielerlei Hinsicht eine andere Richtung einschlagen. Die wichtigsten Volkswirtschaften der Region eignen sich daher zur Diversifizierung, denn sie werden kaum von den Problemen in Europa tangiert. Zudem sind ihre Inflationsraten deutlich niedriger. Ihnen bleibt daher mehr Spielraum für eine wachstumsfördernde Politik – anders als in vielen anderen Regionen der Welt, wo hohe Teuerungsraten die Zentralbanken zwingen, die Zinsen anzuheben und damit Kredite zu verteuern.

Darüber hinaus könnte der 20. Parteitag der Kommunisten in China mehr Gewissheit über den politischen Kurs im nächsten Jahr und über staatliche Konjunkturpakete bringen. Als Reaktion auf den schwachen Wohnungsmarkt hat Peking bereits diverse Auflagen für den Immobiliensektor gelockert. Dennoch mahnen einige Faktoren zu einer gewissen Vorsicht. Darunter die Nachwehen der Null-Covid-Politik in China, Schwankungen an den Devisenmärkten wegen des starken Dollars und Unsicherheiten mit Blick auf die Renditekurvensteuerung der Bank of Japan. Alles in allem schätzen wir den Ausblick für Asien positiver ein als für andere Regionen.

Insgesamt bleiben wir defensiv positioniert. Da die geldpolitischen Zügel im Kampf gegen die Inflation weiter angezogen werden müssen, gehen wir bei Risikoanlagen von einer weiteren Schwächephase aus. Nachlassendes Wachstum und steigende Realrenditen sind Gründe, warum wir uns konservativ positionieren und die Cash-Position übergewichten. Im Aktiensegment bevorzugen wir Titel aus den USA vor solchen aus Europa, dessen Wirtschaftsausblick wegen der Energiekrise besonders düster ist. Auch in dieser schwierigen Lage finden wir weiterhin interessante Anlagemöglichkeiten bei einzelnen Anlagethemen, die den Konjunkturschwankungen standhalten können. Erneuerbare Energien sind ein spannendes Beispiel, bei dem ein langfristiges, nachhaltiges Wachstumsthema mit einer kurzfristig steigenden Nachfrage infolge der Energiekrise zusammenfällt.

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