Zehn Jahre Spotify Vom Todesurteil für Künstler zur wachsenden Musikwirtschaft

Spotify: Wie der Streamingdienst den Musikmarkt aufgemischt hat Quelle: imago images

Als Spotify vor zehn Jahren startete, wurde nur knapp ein Fünftel der weltweiten Musik digital verkauft. Immer häufiger ist Streaming die Hauptumsatzquelle für Künstler und Labels. Bei weniger als einem Cent pro Abspielung hat das das Geschäftsmodell von Musikern drastisch geändert

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Zehn Euro pro Monat kostet ein Premium-Account des Musikstreamingdienstes Spotify zur Zeit. Einmal bezahlt, könnte man damit 744 Stunden lang ununterbrochen Musik hören. Spotifys Katalog umfasst mehr als 35 Millionen Lieder von unzähligen Interpreten. Für Musikliebhaber so etwas wie ein Schlaraffenland. Für Künstler wohl eher das Gegenteil: Für sie bleibt letzten Endes weniger als ein Cent pro Abspielung übrig. Im Gegensatz zu den Umsätzen pro CD-Verkauf oder Download einzelner Tracks, die mehrere dutzend Cent wert sein können, ein verschwindet geringer Betrag. Dabei steht Spotify stellvertretend für eine ganze Reihe von Streamingdiensten, die aktuell den Musikmarkt aufmischen.

Was sich im ersten Moment wie ein Todesurteil für Künstler anhören mag, sorgt seit Jahren viel mehr für eine wachsende Musikwirtschaft. „Denn lizenzpflichtige Streamingdienste haben die Hörer aus der Illegalität geholt“, erklärt Jörg Heidemann, Geschäftsführer des Verbands unabhängiger Musikunternehmen (VUT). Der VUT ist der größte deutsche Verband von unabhängigen Labels und Künstlern, er hat mehr als 1300 Mitglieder. Heidemann sagt: „Streamingdienste befriedigen das Bedürfnis nach großer Auswahl und kleinteiligem Konsum.“ Durch Unternehmen wie Spotify, Deezer und Apple Music sei illegales Downloaden erfolgreich bekämpft worden.

Darüber hinaus seien Streamer ein gutes Werkzeug zur Promotion. So könne eine deutsche Band auf einmal in Asien erfolgreich werden, ohne jemals dort gewesen zu sein, geschweige denn eine CD verkauft zu haben. Auch die Metadaten, die Spotify sammle, seien wichtig für unabhängige Künstler: So könne eine Band beispielsweise ihre Tour genau in die Orte legen, in denen die meisten ihrer Hörer leben.

Noch spitzer formuliert es Florian Drücke, Vorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI): „Der Blick auf den Umsatz pro einzelnem Stream ist nicht mehr zeitgemäß. Künstler und ihre Partner sollten darauf schauen, wie viel pro Kunde umgesetzt wird und was sie mit ihren Stücken über einen bestimmten Zeitraum verdienen.“ Denn neben den Einnahmen über die Abspielungen würden Streamer Künstlern noch eine zweite Währung geben: Reichweite. „Diese begünstigt zum Beispiel Merchandise- und Konzertkartenverkäufe“, sagt Drücke. Durch ein kluges Marketing könnten Künstler so die vergleichsweise geringen Einnahmen der Streams kompensieren.

Die Zahlen scheinen ihm recht zu geben: So kam eine Studie unter Federführung der Universität Hamburg erst kürzlich zum Ergebnis, dass bei Musikliebhabern die Zahlungsbereitschaft für Konzerte besonders hoch sei. Die Befragten waren bereit, durchschnittlich 46 Euro für einen Konzertbesuch zu zahlen. Ein physisches Album hingegen war den Befragten nur etwa 14 Euro wert. Musik werde immer mehr zum Erlebnis, meint auch Jörg Heidemann vom VUT. Er sagt: „Bei Streamern scheint es bei zehn Euro eine Schwelle für Konsumenten zu geben. In der Regel sind sie nicht bereit, mehr zu zahlen.“

Das mache eine gerechte Verteilung umso wichtiger. Im aktuellen Modell von Spotify würden alle Einnahmen in einen großen Topf geworfen. Dieser werden dann durch alle Streams geteilt, was einen Durchschnittsbetrag pro Abspielung ergebe. Interpreten würden schließlich anhand der Menge ihrer Streams bezahlt. „Das ist meiner Meinung nach unfair. Aktuell bekommt Justin Bieber Anteile an den zehn Euro, die ich monatliche zahle, obwohl ich diesen Künstler überhaupt nicht gehört habe.“

Ein gerechtes System sei eines, bei dem nur die Künstler Geld erhielten, die ein Hörer auch wirklich streame. Wenn ein Abonnent also nur ein Lied von Rihanna gehört hat, sollte diese den gesamten Monatsbeitrag kassieren. Das würde allerdings das Geschäftsmodell von Streamern kaputt machen, befürchtet BVMI-Chef Drücke. Denn nur die Querfinanzierung ermögliche Spotify das Abonnementmodell. Der Vorsitzende zweifelt daran, dass ein solches Modell Künstlern auf langfristige Sicht wirklich mehr bringe, als aktuell.

Den Vorschlag des VUT-Geschäftsführers befürwortet auch der Musiker Frank Fiedler. Er spielt in der niederländischen Alternative-Popband „Inge van Calkar“ Keyboard und Bassgitarre. Erst kürzlich haben die Musiker ein neues Album herausgebracht - und auf den populären Streamingseiten veröffentlicht. „Wir können durch Streamer viel mehr Fans, auch international, erreichen. Unsere bisher erfolgreichste Single „River“ wurde über Spotify in vier Ländern in der wichtigen 'New Music Friday' Playlist vorgestellt. So hatten wir über Nacht plötzlich die meisten Hörer in Hamburg, obwohl wir dort noch nie aufgetreten waren“, sagt Fiedler. Ihre Single „River“ wurde bei Spotify über 40.000 mal gestreamt. Rechnet man mit 0,4 Cent pro Stream, wie es eine Untersuchung des Musikblog „The Trichordist“ nahelegt, hat „River“ der Band damit etwas mehr als 160 Euro eingebracht. Bei vielen Künstlern behält das Label zusätzlich einen Teil der Einkünfte.

Fiedler sieht in Streamingdiensten trotzdem eine Bereicherung. Denn das Geschäft mit Tonträgern habe in seiner Teenagerzeit dazu geführt, dass er nur einen winzigen Bruchteil der damaligen Musik kannte. Mit seinem Taschengeld konnte er sich nämlich nur selten eine Platte kaufen. „So ein Geschäftsmodell lässt sich heute glaube ich nicht mehr aufrechterhalten. Für die Musik als Kunstform ist der freie Zugang dagegen ein großer Gewinn. Ich wäre froh gewesen, als junger Musiker so etwas wie YouTube zu haben“, sagt er.

YouTube, mit Abstand Nummer eins der Musikstreamer, ist dabei ein Sonderfall. So sind Dienste wie Spotify, Deezer, Apple Music und Co. als Contentprovider eingestuft. Sie zahlen damit Gebühren an die Lizenzinhaber, wenn sie deren Musik auf ihrer Plattform anbieten möchten. Häufig sind das Labels, die ihre Künstler vertreten. Diese reichen die Einnahmen an ihre Künstler weiter. YouTube hingegen gilt als Hostprovider - als unbeteiligter Dritter, der nur die Grundstruktur bietet, in der Nutzer ihre eigenen Kreationen hochladen dürfen. Mit dieser Begründung weigert sich das Google-Unternehmen hartnäckig, Abgaben an Lizenzinhaber zu zahlen. Zwar gibt es einen Deal mit der Gema, jedoch beläuft sich die Bezahlung von YouTube pro Stream laut „The Trichordist“ auf ungefähr 0,06 Cent.

Das führt nach Zahlen des BVMI dazu, dass YouTube nur etwa zwei Prozent zu den Umsätzen der Branche beitrage, obwohl mehr als die Hälfte der Deutschen ihre Musik über das Videoportal streame. „YouTube zahlt Künstlern und ihren Partnern pro Nutzer und Jahr in Dollar ein Zwanzigstel von dem, was Spotify bezahlt. Das muss sich ändern“, sagt Vorsitzender Florian Drücke.

Abhilfe soll die neue Urheberrechtsreform der EU bringen. Sie würde YouTube in die Verantwortung für hochgeladenen Videos ziehen und das Unternehmen zu Abgaben zwingen. BMVI und VUT stehen deswegen geschlossen hinter der Reform. „Als man YouTube damals als Hostprovider eingestuft hat, hat man einfach nicht weit genug gedacht“, sagt VUT-Geschäftsführer Heidemann. Er hofft darauf, dass der Beschluss schnell Gesetz wird, damit Künstler und deren Partner zu ihren rechtmäßigen Anteilen kämen.

Denn für die Branche gibt es keinen Weg mehr zurück zum alten Geschäftsmodell mit CDs und anderen Tonträgern. Laut BVMI hat der digitale Vertrieb von Musik im ersten Halbjahr 2018 das erste Mal den physischen überholt. Vorsitzender Drücke resümiert: „Es bringt wenig, sich in alte Welten zurück zu träumen. Streaming hat bereits und wird immer mehr die CD als Leitformat ablösen. Der digitale Vertrieb ist Gegenwart und Zukunft für alle, die auf Reichweite setzen, ein Muss.“

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