“Ottonova zeigt deutliche Schwächen!“ So ist eine Pressemeldung übertitelt, die das Wirtschaftsmagazin „Euro“ am Dienstag verschickt hat. Hintergrund ist ein Tarif-Ranking des Analysehauses KVpro.de im Auftrag des Wirtschaftsmagazins. Sowohl beim Preis als auch bei den Leistungen seien die Tarife des Digitalversicherers „unterdurchschnittlich“ und schlechter als der Branchenschnitt, so wird berichtet. Der beste getestete Tarif habe sich in der Kategorie „Selbstbehalt ab 1.000 Euro“ nur im Mittelfeld platzieren können, sei aber auch der viertteuerste.

Anzeige

"Sexy Gamechanger": enorm hohe Selbstansprüche

Für Ottonova sind solche Ergebnisse ein Image-GAU. Zur Erinnerung: das Münchener Start-up wirbt damit, der erste digitale Krankenversicherer in Deutschland zu sein. Und damit auch besser, schneller, schlanker als die alteingesessene Konkurrenz der etablierten Privatversicherer. „Wir wollen der Tesla der Krankenversicherer sein“, so diktierte Firmengründer und Vorstandschef Roman-Marcus Rittweger dem „Handelsblatt“ ins Mikrofon, durchaus selbstbewusst. „Wir haben keine überalterte IT, keine alten Strukturen. Deshalb können wir Innovationen schneller vorantreiben.“

Auch die Webseite des Digitalversicherers wirbt mit diesen Versprechen. „Du willst den perfekten Tarif für dich? Gib uns ein paar Minuten!“, heißt es dort an potentielle Neukunden adressiert. „Unser Online-Assistent nimmt dich einfach an die Hand und führt dich ganz entspannt und ohne Fach-Chinesisch zum richtigen System, zum richtigen Tarif und zum richtigen Abschluss.“

Die bewusst locker und kumpelhaft gehaltene Sprache der Webseite signalisiert, dass Ottonova eine junge und hippe Zielgruppe anpeilt. Starthilfe gibt es von Frank Thelen, Juror der beliebten Gründer-Sendung "Höhle der Löwen". In einem Marketing-Video nennt er den Versicherer "ein Gamechanger für Versicherte, der die Gesundheitsbranche revolutioniert, digitalisiert und ein Stück weit sexy macht".

Schlechte Ranking-Ergebnisse kommen da einer maximalen Entzauberung gleich - ähnlich dem Vorrunden-Aus der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der WM in Russland. Die Ansprüche sind hoch, doch die Leistungen nicht genügend?

Getestete Tarife: vermeintlich teuer und im hinteren Mittelfeld

Konkret hat KVpro den jeweils leistungsstärksten Premium-Tarif eines privaten Krankenversicherers getestet, so berichtet „Euro“. Bei Ottonova kam der Tarif "First Class 2" bei zwei der vier Testkategorien in in die Wertung: bei Policen mit einem jährlichen Selbstbehalt zwischen einem und 1000 Euro sowie mit einem jährlichen Selbstbehalt von mehr als 1000 Euro. Ebenfalls unter die Lupe genommen wurden Beihilfe-Tarife und Policen ohne Selbstbeteiligung. Für beide Kategorien hatte Ottonova zum Testzeitpunkt keine Angebote.

Ergebnis: Bei einem Selbstbehalt zwischen einem und 1000 Euro liegt Ottonova bei den Leistungen auf dem 19. von 28 Plätzen. „Erhebliche Schwächen gibt es beispielsweisen bei den Leistungen rund um die Zähne und bei Zahlungen für Privatkliniken“, schreibt „Euro“, ohne dies näher zu erläutern. Bei den Prämien rangiert Ottonova auf Platz 15. Einen Platz höher rücke der Versicherer, wenn man die Prämien und die maximale Selbstbeteiligung zusammenrechne.

Ein besseres Ergebnis konnte Ottonova bei einem Selbstbehalt von mehr als 1000 Euro erzielen. Hier platziert sich der Versicherer auf Rang 12 von 22 Tarifen und damit immerhin im Mittelfeld. Doch handelt es sich um den viertteuersten Tarif in diesem Segment (Platz 19), wenn man ausschließlich die Prämie betrachtet. Hier stimmen vermeintlich Preis und Leistung nicht.

Anzeige

Das Fazit der Tester: Bei anderen Krankenversicherern könne man sich besser und billiger versichern. Unter den jeweiligen Top drei platzierten sich Tarife etablierter Versicherer wie Hallesche, Debeka, HanseMerkur, SDK und Signal Iduna.

Ottonova verweist auf erfolgreichere Rankings - und Feinheiten des Vertrages

Das aktuelle Ranking bestätigt Skeptiker, die betonen, schlanke Strukturen und eine gute Starter-Idee reiche nicht aus, um mit komplexen Versicherungstarifen erfolgreich zu sein. Ottonova selbst holt für das Design der Produkte auch das Know-how der Etablierten ein. Ein wichtiger Kooperationspartner ist die Debeka, Platzhirsch unter den privaten Krankenversicherern und Nummer eins auf dem Markt. Allerdings scheint das investierte Geld auch vergleichsweise gering: zehn Millionen Euro soll die Debeka in Ottonova investiert haben, Peanuts für solch einen großen Anbieter.

Dabei hat sich Ottonova auf rutschiges Terrain begeben. Online-Abschlüsse von privaten Krankenversicherungen sind umstritten. Die Verträge sind in der Regel hoch komplex. Der nicht fachkundige Antragsteller riskiert Fehler bei den Gesundheitsfragen sowie Leistungslücken. Bei falschen Angaben im Antrag kann der Versicherer später geltend machen, dass die sogenannte vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt wurde - dann steht im Zweifel der Versicherungsschutz auf dem Spiel. Deshalb empfiehlt selbst der Verbraucherschutz eine umfassende Beratung für PKV-Neukunden. Monika Maria Riesch, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein, rät davon ab, derart komplexe Policen per Mausklick abzuschließen.

Anzeige

"...nur Minimal-Leistungssätze getestet"

Der Versicherungsbote hat Ottonova mit dem schlechten Ranking-Ergebnis konfrontiert - und der Digitalversicherer antwortete. Zunächst verweist der Versicherer auf Testergebnisse ebenfalls etablierter Rating-Häuser, in denen man besser abschnitt.

“Ottonova bietet ausschließlich Premium-Tarife an, was die Bewertung unseres First Class Tarifs von 1,1 durch die renommierte Rating-Agentur Assekurata belegt“, berichtet Bernhard Brühl, Aktuar und Vorstand des Versicherers. „Ganz bewusst incentivieren wir in einigen Leistungsbereichen die proaktive Vorsorge wie zum Beispiel beim Zahnersatz durch die professionelle Zahnreinigung, deren Kosten wir einmal pro Jahr erstatten. In der Bewertung von KVPro wurden, soweit wir es einschätzen können, nur die Minimal-Leistungssätze der jeweiligen Tarife berücksichtigt und zur Bewertung herangezogen. Das hieße, dass im Bereich des Zahnersatzes eine Kostenerstattung von 60 Prozent als Grundlage genommen wurde. Unser First-Class-Tarif deckt allerdings 90 Prozent der Kosten ab. Voraussetzung dafür ist die Inanspruchnahme einer professionellen Zahnreinigung im Jahr.“

Mit anderen Worten: Auf welche Leistungen ein Versicherter Anspruch hat, hängt bei den Ottonova-Tarifen auch davon ab, ob er sich gesundheitsbewusst verhält, regelmäßig zur Vorsorge geht etc.. Ein Anreiz auch für die junge, an Selbstoptimierung orientierte Zielgruppe des Versicherers. Das habe der KVpro-Test nicht berücksichtigt und nur die minimal garantierten Leistungen eingerechnet, so die Begründung für das schlechte Ranking-Ergebnis.

Eine professionelle Zahnreinigung sei bei Ottonova zwei mal im Jahr jeweils bis zu 125 Euro vom Tarif abgedeckt, berichtet Vorstand Brühl. Er verwies auf das sich ändernde Verständnis einer Versicherung. So verstehe man sich als „Gesundheitspartner“ und erinnere die Versicherten rechtzeitig, wenn eine Zahnreinigung im Jahr noch nicht erfolgt sei. „Die Diskrepanz zwischen den wahrscheinlich von den Testern kalkulierten 60 Prozent und den in der Praxis bis zu 90 Prozent abgedeckten Kosten bewertet den Tarif so, wie er in der Realität vermutlich nicht eintreffen wird“, sagt Bernhard Brühl.

Standardisierung - und/oder zunehmende Komplexität?

Die Antwort des Ottonova-Vorstandes verweist auf ein allgemeines Problem, das sich sowohl Produkttestern als auch Vergleichsportalen stellt. Nur scheinbar werden die Versicherungsprodukte im Zuge der Digitalisierung standardisierter und einfacher. Stattdessen haben die Kundinnen und Kunden vermehrt die Möglichkeit, online Leistungen hinzu- oder abzuwählen, wenn sie sich für einen Tarif entscheiden.

Zugleich können garantierte Leistungen eines Vertrages stärker als bisher an das individuelle Verhalten des Versicherten geknüpft sein. Beispiel „Pay-as-you-live“-Tarife: Manche Extras eines Vertrages darf der Versicherte nur nutzen, wenn er per App oder Tracker eine gesunde Lebensweise nachweist. Das aber erschwert die Vergleichbarkeit der Tarife und trägt dazu bei, dass sie im Grunde komplexer werden.

Auf dieses Problem macht auch Matthias Brauch aufmerksam, Geschäftsführer der softfair GmbH - und damit des Marktführers unter Makler-Vergleichsprogrammen. „Standardisierung und Vereinfachung bedeutet nicht unbedingt weniger Komplexität in den Tarifen. Gesellschaften wie die Allianz verschlanken zwar ihre Produktfamilien. Gleichzeitig packen sie aber unzählige Wahlmöglichkeiten in einen Tarif. Das Prinzip „Keep it simple“ mag dann für eine Gesellschaft umgesetzt sein. Für uns Vergleicher ist es aber eine echte Herausforderung – dann gibt es auf einmal 500 statt fünf Tarifvarianten“, sagt Brauch in einem Interview für das aktuelle Versicherungsbote-Fachmagazin 02/2018.

Anzeige

Aber weiß der potentielle Ottonova-Kunde, welche Leistungen an bestimmte Verhaltensweisen geknüpft sind? Im Grunde verkomplizieren derartige Vorbedingungen auch den Versicherungsschutz. Und könnten damit ein zentrales Versprechen gefährden: dass die Tarife einfach und leicht verständlich sind - und ohne vertragliche Fallstricke daherkommen.

Seite 1/2/

Anzeige