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R+V-Chef Rollinger: "Impfverweigerer zeigen ein sozial schädliches Verhalten"


"Das ist der sichere Weg in die Staatswirtschaft"


Aktualisiert am 21.09.2021Lesedauer: 8 Min.
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Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD): Der R+V-Chef Norbert Rollinger wünscht sich die baldige Rückkehr zur Schwarzen Null.Vergrößern des Bildes
Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD): Der R+V-Chef Norbert Rollinger wünscht sich die baldige Rückkehr zur Schwarzen Null. (Quelle: Jens Schicke/imago-images-bilder)

Die Versicherungsbranche wurde in den vergangenen Monaten stark gefordert. R+V-Chef Norbert Rollinger erläutert, woran die Riester-Rente scheitert, was er sich vom nächsten Finanzminister erhofft und welche Nachteile Ungeimpften drohen.

Die Versicherungsbranche hat seit vergangenem Jahr mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Im Interview mit t-online macht Norbert Rollinger, Vorstandsvorsitzender der R+V-Versicherung, sein Unverständnis für Impfverweigerer deutlich: Wer sich impfen lassen könne, sich jedoch weigere, müsse auch mit Konsequenzen rechnen.

Auch die Versäumnisse der aktuellen Bundesregierung beim Thema Rente treiben ihn um. Es müsse dringend an den Beitragsgarantien angesetzt werden, fordert er. Denn trotz aller Schwierigkeiten sei die private Altersvorsorge in Form von Riester-Rente und Lebensversicherung weiterhin ein beliebtes Produkt.

t-online: Herr Rollinger, das Thema Altersvorsorge spielt im aktuellen Wahlkampf kaum eine Rolle. Wie finden Sie das?

Nobert Rollinger: Sehr schlecht. Das passt aber ins Bild.

Warum?

Die amtierende Regierung hat es nicht fertiggebracht, die Altersvorsorge zu reformieren. Sie hat nur sinnlos neues Geld ausgegeben. Die demografisch schwierige Situation der Rentenversicherung wurde sogar noch verschlimmert. Auch Vorschläge zum vielfach eingeforderten Standardprodukt hat die Regierung nicht aufgenommen. Und: Die Riester-Rente ist totgeschwiegen worden. So wie sie jetzt ist, ist die Riester-Rente bald nicht mehr lebensfähig.

Drastische Worte.

Nun ja. Die Versicherungswirtschaft hatte vorgeschlagen, die Riester-Rente mit all ihren Förderungen auf Selbstständige auszuweiten. Das wäre eine schlaue Lösung gewesen, doch alle Versuche mit der Regierung, Riester zu erneuern, sind gescheitert. So hat die Politik es auch leider versäumt, das Thema der Garantien anzupacken. Es ist entscheidend, dass die Riester-Rente reformiert wird, dass die Beitragsgarantien sinken. Das kommt auch den Kunden zugute.

Erklären Sie das bitte.

Das mag für den einen oder anderen paradox klingen. Aber: Eine niedrigere Beitragsgarantie heißt nicht, dass der Kunde am Ende weniger rausbekommt. Es bietet uns als Versicherung vielmehr die Möglichkeit, mehr Rendite für die Kunden zu erwirtschaften. Denn wir unterliegen mit den garantierten Beiträgen strengen Anlagevorschriften und müssen Kapital hinterlegen, was beides viel Rendite kostet. Eine freiere Kapitalanlage ermöglicht, dass am Ende die Rendite höher ist, als nur die 100 Prozent der Beiträge sicher zurückzubekommen. Gerade weil die Zinsen seit Jahren sinken, dürfen die Versicherer nicht mehr in ein solches Korsett gepresst werden. Das funktioniert nicht.

Guter Punkt, den Sie ansprechen. Im vergangenen Jahr lag die Garantieverzinsung, die ja auch für die Riester-Rente entscheidend ist, noch bei 0,9 Prozent. Damals sagten Sie, dass Sie Ihren Kindern eine Lebensversicherung als Altersvorsorge empfehlen würden. Ab 2022 gibt es aber nur noch 0,25 Prozent. Können Sie die Versicherung immer noch guten Gewissens empfehlen?

Selbstverständlich. Eine Lebensversicherung gehört neben anderen Vorsorgeprodukten immer mit dazu. In der heutigen Zeit sollte man nicht nur auf ein Pferd setzen. Und im Vergleich zu einer Bundesanleihe, die früher auch ein beliebtes Anlageprodukt war, rechnet sich die Lebensversicherung heute viel mehr. Wer heute einen Vertrag abschließt, bekommt zudem immer noch deutlich mehr Rendite als die reine Garantieverzinsung. Anders als bei einzelnen Aktien legen wir als Versicherer unser Geld breit an und sichern so die Stabilität der Lebensversicherung.

Auch bei Aktien kann man mit ETF-Sparplänen breit streuen.

Natürlich, doch dann vergleicht man Äpfel mit Birnen.

Wieso?

Bei einem ETF-Sparplan gibt es keinen Todesfallschutz und Sie können auch keine Berufsunfähigkeitsversicherung ergänzen. Eine Lebensversicherung ist ein bequemes Produkt, in dem alles enthalten ist und das mit einer Rendite, die höher liegt als jene, die Sie heute mit Staatsanleihen erzielen können. Nennen Sie mir eine Absicherung, die eine lebenslange Rente garantiert. Das kann selbst die gesetzliche Rente nicht leisten, wenn man auf die Rentenkürzungen schaut.

Ehrlich gesagt ist das auch nicht sonderlich schwer. Das heißt aber umgekehrt, die Lebensversicherung ist ein Produkt für die Faulen – und nicht die, die auf hohe Renditen aus sind?

Wenn Sie so wollen: Ja. Doch die Rendite ist sicher. Sie ist nicht mit einer ETF-Rendite vergleichbar, die den Märkten ausgeliefert ist. Klar: Über lange Zeiträume tendiert das Risiko bei einem Sparplan gegen Null. Aber eine Lebensversicherung ist auch eine Frage der Spardisziplin. Bei einem ETF-Sparplan ist es ganz einfach, die monatliche Zahlung auszusetzen oder zu einem vermeintlich guten Zeitpunkt "Kasse" zu machen und eben nicht bis zur Rente zu sparen. Eine Lebensversicherung stillzulegen ist deutlich komplizierter. Die Hürden sind höher. So verfehlen Sie beim ETF-Sparplan leichter ihr Sparziel, das Sie für die Altersvorsorge brauchen. Eine Lebensversicherung zwingt zu mehr Disziplin. Und: Eine Lebensversicherung ist ein Instrument, das für breite Teile der Bevölkerung geeignet ist.

Norbert Rollinger, 1964 geboren, stammt aus Luxemburg. Er studierte Rechtwissenschaften und Betriebswirtschaft in München. 2009 wurde er in den Vorstand der R+V-Versicherung berufen, dem er seit Januar 2017 vorsitzt. Die R+V-Versicherung mit Sitz in Wiesbaden zählt mit 8,9 Millionen Kunden zu den größten Versicherern Deutschlands.

Warum?

Ich möchte nicht über das Finanzwissen innerhalb der Gesellschaft urteilen. Aber wie viele Teile der Bevölkerung können denn wirklich selbst entscheiden? Wenn Sie in der Fußgängerzone fragen, was ein ETF ist, werden Sie sehr enttäuscht sein, wie wenig Leute das überhaupt wissen. Wir tun immer so, als ob die Mehrheit unserer Mitbürger hochintellektuelle Entscheider wären. Das ist nicht der Fall. Für viele Menschen ist ein einfaches Vorsorgeprodukt wie die Lebensversicherung daher sehr wichtig. Übrigens bieten wir auch fondsgebundene Rentenversicherungen an. Bei diesen partizipiert der Kunde an der Entwicklung der Aktienmärkte und bekommt später eine lebenslange Rente.

Was erwarten Sie denn von einem künftigen Finanzminister?

Dass er schnellstmöglich überlegt, wie wir das Thema private Altersvorsorge in Zukunft gestalten wollen. Dazu bieten wir gerne Gespräche an. Wenn wir uns die drei Säulen anschauen, ist vor allem bei der privaten Altersvorsorge in den vergangenen Jahren wenig passiert.

Woran liegt das?

Ich glaube, an ideologischen Gründen.

Wie meinen Sie das?

Für einige Parteien steht die vermeintliche Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung im Vordergrund. Private Initiativen werden eher zurückgedrängt. Doch die Bürger haben es verdient, dass man sich ernsthaft mit der Sache auseinandersetzt und nicht wie die vergangene Regierung einfach auf Pump weitere Leistungen in ein reformbedürftiges gesetzliches Rentenversicherungsgeschäft steckt.

Das heißt, eine künftige Regierung müsste nicht nur schnellstmöglich die Schuldenbremse wieder einsetzen, sondern auch zurück zur Politik der Schwarzen Null gehen?

Ja, unbedingt. Wir sollten zügig zur Haushaltsdisziplin zurückkommen, zur Schwarzen Null. Aktuell werden mehr als 100 Milliarden in die gesetzliche Rentenversicherung hineingegeben, um sie zu stabilisieren. Das sind Dauerlasten, die über Jahrzehnte anfallen und die größtenteils auf Pump bedient werden. Das kann nicht dauerhaft gut gehen.

Führen Sie das bitte aus.

In der Vergangenheit hat die Regierung umfangreiche Garantien zugesagt – sowohl in der betrieblichen als auch in der privaten Altersvorsorge. Nun haben wir ein so niedriges Zinsniveau, dass der Staat durch die Verschuldung Milliarden einnimmt. Das ist eine Einladung für den Staat, weitere Schulden zu machen. Es ist doch eine verrückte Welt, die Schuldenmachen gar belohnt. Hier wird politisch ein zu niedriger Zins durchgesetzt, aber marktwirtschaftliche Lösungen werden immer weiter ausgehebelt. Das ist der sichere Weg in die Staatswirtschaft. Und der ist noch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte gutgegangen.

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Nun tragen Sie doch etwas dick auf. Man könnte ja auch argumentieren, dass jetzt investiert werden kann – eben, weil Schuldenmachen so günstig ist.

Wir haben in den vergangenen Jahren schon gesehen: Die Regierung hat die Zeiten der sprudelnden Steuereinnahmen und der niedrigen Zinsen überhaupt nicht genutzt, um Strukturreformen durchzusetzen. Die große Koalition hat nur Geschenke verteilt – und Geld für die Bewältigung von Krisen ausgegeben. Sollte die hohe Inflation tatsächlich nachhaltig sein, wird die EZB nicht drumherum kommen, die Zinsen zu erhöhen. Wenn das der Fall ist, sind die Wunschträume und Gestaltungsspielräume einer neuen Regierung ganz schnell am Ende. Man sieht bereits die Nervosität auf der politischen Seite beim Thema Inflation.

Gut möglich aber, dass sich die Inflation ab 2022 wieder entspannt. Dann bleibt es wohl erst einmal weiter bei niedrigen Zinsen.

Das wäre trotzdem gefährlich. Niedrige Zinsen verringern die Anreize für die junge Generation, Schulden zurückzuzahlen. Wenn argumentiert wird, man müsse die Steuern erhöhen, werden diese Anreize noch geringer. Das ist ein gefährlicher Teufelskreis. Wir sehen bereits, dass die Erwartungshaltung der Bevölkerung immer größer wird, dass immer mehr Leistungen vom Staat folgen, statt dazu zu ermutigen, durch Eigeninitiative das Steuervolumen zu vergrößern. Damit meine ich keine Erhöhung der Steuersätze, sondern schlicht erfolgreiches Unternehmertum. Doch die aktuelle Diskussion ist verengt auf Steuererhöhungen für Leistungsträger der Gesellschaft.

Mehr Unternehmertum, weniger Einmischung des Staates: Das klingt, als würden Sie sich einen Finanzminister Christian Lindner wünschen.

Wahlen sind kein Wunschkonzert. Da ich Luxemburger bin, kann ich nicht mal mitbestimmen. Ich kann nur hoffen, dass eine verständnisvolle Person an die Spitze des Finanzministeriums kommt, die unter sachlichen und nicht unter ideologischen Gesichtspunkten eine Weiterentwicklung der Altersversorgung nach vorne treibt. Und in den vergangenen Jahren haben wir von guter Wirtschaftspolitik profitiert, die von der rot-grünen Regierung vor 20 Jahren angestoßen wurde. Die Agenda 2010 hat für sprudelnde Steuereinnahmen gesorgt, die Staatverschuldung konnten wir runterfahren. Leider sind diese Ideen heute verfemt. Dabei sind jetzt umfassende Reformen nötig, auch um im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsblöcken, allen voran China, durchzuhalten.

Es braucht also nochmals eine Agenda?

Ja. Deutschland braucht eine Agenda 2030 – egal welche Partei oder Koalition das umsetzt. In den aktuellen Programmen steht derlei aber leider nicht. Es ist unbestritten, dass wir gut durch die Krise gekommen sind. Doch nun müssen wir die Krise dauerhaft hinter uns lassen – auch in den Staatsfinanzen.

Die Krise hinter uns lassen: Gutes Stichwort. Denn das Impftempo nimmt seit Wochen ab. Wie groß ist Ihre Sorge vor einer vierten Corona-Welle?

Es wundert mich, dass wir eine Impfmüdigkeit haben. Angst vor der vierten Welle sollten die Ungeimpften haben. Einen weiteren Lockdown halte ich dagegen für unrealistisch. Die Menschen, die sich impfen lassen, werden es nicht mehr hinnehmen, dass wir das Land wieder lahmlegen. Es gibt ein Mittel gegen die Pandemie: die Corona-Impfung. Wir alle sollten uns aus Solidarität zu den Mitmenschen impfen lassen.

Bislang hat es aber nicht gereicht, an die Solidarität zu appellieren. Sollten also jetzt Krankenkassen Leistungen für Ungeimpfte kürzen?

Das ist ein sehr schwieriges Thema. Ich sage es einmal deutlich: Impfverweigerer zeigen ein sozial schädliches Verhalten – wenn es nicht gute medizinische Gründe gibt, die im Einzelfall gegen eine Impfung sprechen. Und die ständige Pandemiediskussion, der Krisenmodus, lenkt uns von den wichtigen Fragen ab – Klimakrise, Digitalisierung, Altersvorsorge. Ich bin der Meinung, es braucht niederschwellige Angebote, um mehr Menschen bei der Impfung zu erreichen. Es ist ja nicht jeder Ungeimpfte gleich ein Impfverweigerer. Und: Wir sollten den Fake News in den sozialen Medien nicht das Feld überlassen. Reicht das nicht, habe ich durchaus Verständnis für die Diskussion.

Ach ja?

Ja. Das sind schließlich Kosten der Gemeinschaft: Wenn jemand wegen Corona auf der Intensivstation landet, ist das deutlich teurer als eine Impfung. Schon jetzt dürfen Krankenkassen beim Tarif zwischen Rauchern und Nicht-Rauchern unterscheiden.

Das könnte man auch bei Corona machen?

Zum Beispiel. Als Versicherungsbranche werden wir früher oder später darüber nachdenken müssen, möglicherweise Tarife nach Impfstatus zu unterscheiden. Wann das der Fall sein wird, hängt von der Frage ab, wie lange sich die schweigende Mehrheit der Geimpften von den hartnäckigen Impfverweigerern noch auf der Nase herumtanzen lässt.

Herr Rollinger, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Norbert Rollinger
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