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Rechtliche Aspekte der Forschung an Tieren

II. Rechtliche Aspekte der Forschung an Tieren


1. Rechtlich vorgeschriebene Tierversuche

Bevor bestimmte Produkte - z. B. Medikamente oder Schädlingsbekämpfungsmittel - für den Markt zugelassen werden, muss ihr Anbieter den Nachweis erbringen, dass sie der menschlichen Gesundheit sowie der Umwelt nicht schaden. Auch für Produktionsverfahren, Reststoffe etc. existieren entsprechende Prüfvorschriften. Als Bestandteil derartiger Sicherheitsprüfungen sind Tierversuche in einigen Fällen gesetzlich festgeschrieben.
Verschiedene deutsche Gesetze enthalten Anordnungen, welche Produkte in welcher Weise getestet werden müssen, bevor sie in Umlauf gebracht werden dürfen. Viele Produkte werden aber nicht nur deutschlandweit, sondern international vertrieben. Sie müssen dann den Sicherheitsstandards verschiedener Länder genügen. Damit die Sicherheitsprüfungen nicht in jedem Land, in dem das Produkt vertrieben wird, wiederholt werden müssen, einigen sich die Länder auf Testverfahren, nach denen die Sicherheitsprüfungen erfolgen sollen. Die Anbieter erbringen dann den Sicherheitsnachweis nach einem solchen Standardverfahren und können daraufhin das Produkt in allen Ländern vertreiben, die dieses Verfahren akzeptieren, ohne weitere Sicherheitsprüfungen durchführen zu müssen. Viele EU-weit anerkannte Prüfverfahren für die Schädlichkeit und Umweltverträglichkeit von Stoffen und Produktionsverfahren finden sich im Anhang V der Grundrichtlinie für gefährliche Stoffe (RL 67/548/EWG). Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), eine internationale Handelsorganisation mit derzeit 34 Mitgliedstaaten, hat ebenfalls Empfehlungen zu Stoffprüfungen verabschiedet (die OECD Guidelines for the Testing of Chemicals). Sicherheitsnachweise, die nach OECD-Standards erbracht wurden, werden in allen OECD-Mitgliedstaaten akzeptiert.

1.1 Rechtlich vorgeschriebene Tierversuche in Europa

Auf europäischer Ebene (siehe Modul EU-Vorschriften) finden sich verschiedene Richtlinien und Verordnungen, die Tierversuche im Rahmen der Stoff- und Verfahrensprüfung vorschreiben. Das EU-Recht hat in diesen Fällen Vorrang vor nationalem Recht. Deshalb können Anbieter durch die EU-Gesetzgebung zu Tierversuchen in Sicherheitsprüfungen verpflichtet sein, auch wenn nationale Gesetze diese Versuche nicht fordern.

1.2 Rechtlich vorgeschriebene Tierversuche in Deutschland

Tierversuche werden ebenfalls in verschiedenen deutschen Gesetzen (siehe Modul Deutsches Recht) gefordert. Es gibt auch Gesetze, die einen Sicherheitsnachweis verlangen, ohne das Verfahren, nach dem der Sicherheitsnachweis erbracht werden soll, festzulegen. In derartigen Fällen verabschieden Regierungen oder Verwaltungsstellen Verordnungen, die diese Verfahren festlegen. Auch Verordnungen können Tierversuche vorschreiben. Rechtlich vorgeschriebene Tierversuche bedürfen teilweise keiner weiteren Genehmigung (s. u.), sondern sind nur anzeigepflichtig, das heißt sie müssen der zuständigen Behörde gemeldet werden. Tierversuche in der Forschung müssen demgegenüber stets genehmigt werden.


2. Rechtliche Bestimmungen zum Schutz von Versuchstieren

Sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Ländern und auf EU-Ebene gibt es nicht nur Vorschriften, wann Tierversuche durchgeführt werden müssen, sondern es gibt zudem Vorschriften zum Schutz von Versuchstieren. Solche Vorschriften legen fest, wer überhaupt Tierversuche durchführen darf, für welche Zwecke Tierversuche durchgeführt werden dürfen, wie die Versuchstiere gehalten werden müssen und wie sie während des Versuchs und danach behandelt werden müssen.

2.1 Europarat und Europäische Union

Auf europäischer Ebene haben sowohl die Europäische Union (EU) als auch der Europarat Vorschriften zum Schutz von Versuchstieren verabschiedet.

2.1.1 Europarat

Der Europarat wurde 1949 gegründet und ist eine unabhängig von der EU agierende Organisation europäischer Staaten mit derzeit 47 Mitgliedsländern. Zu den Zielen des Europarats zählen: der Schutz der Menschenrechte, die Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit, sowie die Harmonisierung der sozialen und rechtlichen Praktiken in den Mitgliedsländern.

Europäisches Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere

Zum Umgang mit Versuchstieren hat der Europarat am 18. März 1986 das Europäische Übereinkommen zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Wirbeltiere (siehe Modul Übereinkommen des Europarates) verabschiedet, das maßgeblichen Einfluss auf das EU-Tierversuchsrecht haben sollte. Das Übereinkommen beruft sich auf die Überzeugung, dass für den Menschen eine "ethische Verpflichtung" besteht, die "Leidensfähigkeit" und das "Erinnerungsvermögen" von Tieren zu berücksichtigen, dass er aber gleichzeitig in seinem Streben nach "Wissen, Gesundheit und Sicherheit Tiere verwenden muss" (siehe Präambel).
Das Übereinkommen legt fest, dass Tierversuche nur zu besonderen Zwecken durchzuführen sind. Diese umfassen die Diagnose und Verhütung von Krankheiten, klinische Forschung für Arzneimittel und physiologische Grundlagenforschung, Umweltschutz, wissenschaftliche Forschung, Bildung und Ausbildung sowie forensische Untersuchungen (vgl. Art. 2). Für die Regulierung der praktischen Forschung wird daher gefordert, dass Tierversuche nur dann durchgeführt werden, wenn keine alternativen Methoden zur Verfügung stehen und das Versuchsziel somit nicht ohne den Einsatz von Versuchstieren erreicht werden kann (vgl. Art. 6). Zugleich fordert es, dass die Mitgliedstaaten die Forschung auf dem Gebiet der Tierversuchsersatzmethoden vorantreiben (vgl. Art. 6, zur Definition von Alternativmethoden s. u.), so dass im Laufe der Zeit immer mehr Tierversuche durch alternative Verfahren ersetzt werden können.
Für Tierversuche, die länger anhaltende erhebliche Schmerzen für das Versuchstier erwarten lassen, wird eine besondere Genehmigungs- oder Anzeigepflicht festgeschrieben (vgl. Art. 9). Zur Vermeidung unnötiger Mehrfachversuche in der Produktprüfung verpflichten sich die Vertragsparteien zudem (so weit wie möglich) zur wechselseitigen Anerkennung von Prüfergebnissen (vgl. Art. 29).

Das Übereinkommen wurde erst im Jahr 1998 durch einen Beschluss des Rates der EU (1999/575/EG) ratifiziert und fand somit Eingang in das EU-Gemeinschaftsrecht. Die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere“ (RL 2010/63/EU) von 2010 trug schließlich zentralen Forderungen des Übereinkommens Rechnung.

2.1.2 Europäische Union

Die Europäische Union (EU) ist ein Zusammenschluss europäischer Länder. Derzeit gehören ihr 28 Mitgliedstaaten an. Die Mitgliedstaaten übertragen einen Teil ihrer Souveränität auf die gemeinsamen Organe der EU. Dadurch sind diese ermächtigt, in festgelegten Bereichen Entscheidungen zu treffen, die für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Zum Erlassen von Tierschutzvorschriften ist die EU nur in begrenztem Umfang befugt: Tierschutz ist - anders als Umweltschutz - kein Gemeinschaftsziel der EU und wird deshalb von den Mitgliedstaaten selbst geregelt. Die EU darf nur dann Tierschutzvorschriften, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind, erlassen, wenn dadurch Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt verhindert werden. Wenn nämlich in den einzelnen EU-Ländern unterschiedlich strenge Vorschriften zur Haltung von Nutz- und Versuchstieren herrschten, wären Anbieter aus Ländern mit strengeren Vorschriften wegen der höheren Produktions- und Haltungskosten auf dem gemeinsamen Binnenmarkt benachteiligt. Um solchen Benachteiligungen entgegenzuwirken, kann die EU Tierschutzvorschriften erlassen, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. Eine solche "Binnenmarktrelevanz" haben aber nicht alle Tierversuche, die durchgeführt werden. Ob Tierversuche im Rahmen der Aus- und Weiterbildung oder in der Grundlagenforschung an den Universitäten nach EU-weiten Standards durchgeführt werden oder nicht, hat beispielsweise keinen Einfluss auf den Binnenmarkt. Entsprechend kann die EU in diesen Bereichen keine Vorschriften verabschieden.

Vertrag von Lissabon

Am 13. Dezember 2007 unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten den Vertrag von Lissabon, welcher am 01. Dezember 2009 in Kraft getreten ist. Damit wurden die geltenden Gründungsverträge der Europäischen Union reformiert. Der "Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft" (EG-Vertrag) ist zum "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) umbenannt worden. Die Mitgliedstaaten bekennen sich in Titel II Artikel 13 des AEUV (siehe Modul Tierschutz im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union)  zu dem Grundsatz "Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union […] den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung" zu tragen, hierbei jedoch "die Rechts- und Verwaltungsvorschriften und die Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten" zu berücksichtigen. Auch wenn der Tierschutz nicht zu den Gemeinschaftszielen der EU zählt, genießt er damit die gleiche Bedeutung wie andere unter Titel II des AEUV genannte Grundsätze (z.B. Gewährleistung eines angemessenen Gesundheitsschutzes oder Förderung der Geschlechtergleichstellung).

Richtlinie 2010/63/EU

Die vom Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat verabschiedete und am 09. November 2010 in Kraft getretene Richtlinie 2010/63/EU (siehe Modul EU-Richtlinien zum Schutz von Versuchstieren) ersetzt die bis dahin geltende Richtlinie 86/609/EWG. Die dort vorgesehene Vereinheitlichung und Harmonisierung nationaler rechtlicher Bestimmungen zum Tierschutz in der Forschung wird mit der neuen Richtlinie weiter vorangetrieben. Im Einklang mit dem sogenannten 3R-Prinzip (siehe Modul 3R-Prinzip von Russell und Burch) soll das nationale Recht der Mitgliedstaaten darauf ausgerichtet sein, die Verwendung von Tieren zu Forschungszwecken zu vermeiden (Replacement), zu verringern (Reduction) und zu verbessern (Refinement) (vgl. Art. 4). Zudem werden die zuvor unberücksichtigten Bereiche der Grundlagenforschung, der Bildung und Ausbildung sowie forensischer Untersuchungen als zulässige Zwecke zur Durchführung von Tierversuchen festgelegt und mit entsprechenden Regelungen bedacht. Sie bilden nun zusammen mit dem Umweltschutz, dem Artenerhalt und der angewandten Forschung (v.a. der Diagnose und Behandlung von Krankheiten bei Menschen, Tieren oder Pflanzen sowie der Entwicklung entsprechender Arzneimittel) die Klasse der zulässigen Versuchszwecke (vgl. Art. 5).

Ebenso wie die frühere Richtlinie sieht RL 2010/63/EU vor, dass die nationalen Staaten bei Bedarf Vorschriften und Gesetze erlassen können, die über den durch die EU-Regelungen definierten Mindeststandard hinausgehen. Dies schließt unter anderem potenzielle Regelungen zu Genehmigungsverfahren von Tierversuchen oder zu tierschutzbezogenen Kontrollen involvierter Betriebe ein (vgl. Art. 42, Art. 59 f.).

Verringerung der Anzahl rechtlich vorgeschriebener Tierversuche

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind sowohl durch die Tierversuchsrichtlinie RL 2010/63/EU (vgl. ebd., Art. 4, Art. 46-49) als auch durch das entsprechende Europaratsübereinkommen (vgl. ebd., Art. 6) verpflichtet, die Forschung zur Entwicklung von Alternativmethoden (siehe Modul Alternativmethoden) zu fördern. Zu diesem Zweck existieren auf nationaler und auf europäischer Ebene Zentren zur Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden. Auch die Vermeidung unnötiger Mehrfachprüfungen durch die Wiederverwertung von Prüfnachweisen (siehe Modul Wiederverwertung von Prüfnachweisen) aus Sicherheitsprüfungen soll zur Verringerung der Anzahl rechtlich vorgeschriebener Tierversuche beitragen.

2.2 Deutschland

Wie bereits erwähnt, gewähren sowohl das Tierversuchsübereinkommen des Europarates als auch die EU-Tierversuchsrichtlinie den Vertragspartnern den Erlass strengerer nationaler Vorschriften zur Durchführung von Tierversuchen in der Forschung. Im internationalen Vergleich gelten die entsprechenden Vorschriften des deutschen Tierschutzgesetzes (siehe Modul Deutsches Tierschutzgesetz) (TierSchG) – hauptsächlich §§ 7-9 – als relativ restriktiv. Tierversuche werden dort als "Eingriffe oder Behandlungen zu Versuchszwecken" definiert, entweder "an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sein können", oder "an Tieren, die dazu führen können, dass Tiere geboren werden oder schlüpfen, die Schmerzen, Leiden oder Schäden erleiden", oder "am Erbgut von Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können" (§ 7 Abs. 2).

Zulässige Zwecke und Unerlässlichkeit von Tierversuchen

Tierversuche dürfen in Deutschland nur zu einem der folgenden im § 7a des Tierschutzgesetzes genannten Zwecke durchgeführt werden:

"1. Grundlagenforschung,

2. Sonstige Forschung mit einem der folgenden Ziele:

a. Vorbeugung, Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden bei Menschen oder Tieren,

b. Erkennung oder Beeinflussung physiologischer Zustände oder Funktionen bei Menschen oder Tieren,

c. Förderung des Wohlergehens von Tieren oder Verbesserung der Haltungsbedingungen von landwirtschaftlichen Nutztieren,

3. Schutz der Umwelt im Interesse der Gesundheit oder des Wohlbefindens von Menschen oder Tieren,

4. Entwicklung und Herstellung sowie Prüfung der Qualität, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit von Arzneimitteln, Lebensmitteln, Futtermitteln oder anderen Stoffen oder Produkten mit einem der in Nummer 2 Buchstabe a bis c oder Nummer 3 genannten Ziele,

5. Prüfung von Stoffen oder Produkten auf ihre Wirksamkeit gegen tierische Schädlinge,

6. Forschung im Hinblick auf die Erhaltung der Arten,

7. Aus-, Fort- oder Weiterbildung und

8. Gerichtsmedizinische Untersuchungen."

Für bestimmte Forschungsziele, so z.B. "zur Entwicklung oder Erprobung von Waffen, Munition und dazugehörigem Gerät" (§ 7 Abs. 3 TierSchG) und "zur Entwicklung von Tabakerzeugnissen, Waschmitteln und Kosmetika" (§ 7 Abs. 4), sind Tierversuche in Deutschland ausdrücklich verboten.

Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie für einen der genannten zulässigen Zwecke unerlässlich sind. Die verschiedenen Aspekte der Unerlässlichkeit werden gemeinhin anhand des 3V-Prinzips der experimentellen Forschung mit Tieren (siehe Modul 3R-Prinzip von Russell und Burch) illustriert: Vermeidung, Verfeinerung, Verringerung. Kann ein Versuchszweck auch auf tierversuchsfreiem Wege, z.B. durch den Einsatz von Zellkulturen oder Computersimulationen, oder durch den Einsatz von Tieren, die auf dem phylogenetischen Stammbaum niedriger stehen, erreicht werden, dann ist das Erfordernis der Unerlässlichkeit nicht erfüllt (Vermeidung); ebenso gelten Tierversuche, die durch ein verbessertes statistisches Design des Forschungsvorhabens vermeidbar wären (Verringerung) oder die für die Versuchstiere weniger belastend ausgestaltet werden könnten (Verfeinerung), nicht als unerlässlich.

 Für Versuche an Wirbeltieren oder Kopffüßern gilt nach § 7a Abs. 2 Nr. 3 TierSchG, dass diese nur dann durchgeführt werden dürfen, "wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Tiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar (siehe Modul Ethische Vertretbarkeit) sind". Generell dürfen Schmerzen, Leiden oder Schäden Versuchstieren "nur in dem Maße zugefügt werden, als es für den verfolgten Zweck unerlässlich ist; insbesondere dürfen sie nicht aus Gründen der Arbeits-, Zeit- oder Kostenersparnis zugefügt werden" (§ 7a Abs. 2 Nr. 4).

Genehmigungsverfahren

Versuche an Wirbeltieren und Kopffüßern stehen unter einem Genehmigungsvorbehalt (§ 8 TierSchG). Demgegenüber sind Versuche an wirbellosen Tieren (siehe Modul Versuche an wirbellosen Tieren) nicht genehmigungs-, sondern nur in einigen Fällen anzeigepflichtig – nämlich dann, wenn "diese Tiere über eine den Wirbeltieren entsprechende artspezifische Fähigkeit verfügen, unter den Versuchseinwirkungen zu leiden, und es zu ihrem Schutz erforderlich ist" (§ 8a Abs. 4). Neben der Prüfung der Unerlässlichkeit eines geplanten Tierversuches ist für dessen Genehmigung auch maßgeblich, "dass der verantwortliche Leiter des Versuchsvorhabens und sein Stellvertreter die erforderliche fachliche Eignung" besitzen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2). Außerdem ist zu beachten, dass die ordnungsgemäße Haltung und medizinische Versorgung der Tiere gewährleistet sind und Vorschriften zur Betäubung, Schmerzlinderung und Verhinderung des Todes eingehalten werden (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 ff.). 

Forscher, die einen Versuch mit Wirbeltieren oder Kopffüßern planen, müssen dessen Genehmigung bei der zuständigen Mittelbehörde (Bezirksregierung, Regierungspräsidium) beantragen (§ 15 TierSchG). Seit 1986 ist der Behörde zur fachgerechten Einschätzung des Versuchsvorhabens eine lokale Tierschutzkommission zur Seite gestellt (§ 16b). Diese soll mehrheitlich aus Forschern bestehen, die aufgrund ihrer Erfahrung sachkundig über die Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen urteilen können. Ein Drittel der Mitglieder muss aus Vorschlagslisten der Tierschutzorganisationen stammen. Das Votum der Tierschutzkommission ist für die Genehmigungsbehörde nicht bindend.

Tierschutzgesetz und Forschungsfreiheit

Obwohl das Tierschutzgesetz vorschreibt, dass Tierversuche in der Forschung genehmigungspflichtig sind, wurde die Rechtmäßigkeit dieser Bestimmung in der Vergangenheit vielfach bezweifelt. Die Zweifel gründen in der Tatsache, dass Forschungsfreiheit ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) ist. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte können nicht durch einfache Gesetze, sondern nur um anderer Verfassungsgüter willen beschränkt werden.
Bis 2002 war der Tierschutz kein Verfassungsgut und das Tierschutzgesetz so nur ein einfaches Gesetz. Es war daher verfassungslogisch nicht möglich, darin Vorschriften zur Einschränkung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte wie der Forschungsfreiheit (ebenso der Religionsfreiheit und der Kunstfreiheit) aufzustellen. Damit lag die Frage auf der Hand, ob die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigungspraxis verfassungswidrig sei. Die Frage wurde gerichtlich nicht geklärt, obwohl eine entsprechende Frage 1994 an das Bundesverfassungsgericht (siehe Modul Verfahrenszyklus VG Berlin - BVerfG) herangetragen wurde. Angesichts der Bedenken praktizierten die Behörden eine "verfassungskonforme Auslegung" des Tierschutzgesetzes, das heißt die Genehmigungsbehörden prüften Anträge nicht nach objektiven Maßstäben (das wäre verfassungswidrig gewesen), sondern prüften lediglich, ob der Antragsteller die Unerlässlichkeit und die ethische Vertretbarkeit wissenschaftlich plausibel dargelegt habe ("qualifizierte Plausibilitätskontrolle"). In den einschlägigen Kommentaren zum Tierschutzgesetz wird die Meinung vertreten, dass sich die Aufgabe der Genehmigungsbehörden mit der Einführung des Staatsziels Tierschutz geändert habe.

Staatsziel Tierschutz

Staatsziele sind Zielvorgaben, die sich ein Staat setzt. Sie stellen, ebenso wie Grundrechte, Verfassungsgüter dar, unterscheiden sich aber von jenen dadurch, dass sie kein subjektives Recht begründen und nicht einklagbar sind.
Tierschutz ist seit 2002 ein Staatsziel. Art. 20a des Grundgesetzes lautet: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." Die Worte "und die Tiere" wurden erst 2002 in den bereits existierenden Artikel aufgenommen. Vorher, das heißt von 1994 bis 2002, hatte Art. 20a nur den "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" zum Gegenstand (Staatsziel Umweltschutz). Bereits die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, die im Zuge der Verfassungsreform nach der deutschen Wiedervereinigung eingesetzt wurde und sich schließlich für Umweltschutz als ein Staatsziel aussprach, hatte Tierschutz als ein Staatsziel (siehe Modul Staatsziel Tierschutz) erwogen. Sie lehnte eine entsprechende Verfassungsänderung jedoch ab. Der Grund für die Ablehnung war die Sorge, dass das Staatsziel Tierschutz den Rahmen der ansonsten ausschließlich auf den Menschen ausgerichteten Verfassung sprenge und dieser "Wertewandel" weitreichendere Folgen haben könne als erwünscht. Ausschlaggebend für die Verfassungsänderung - acht Jahre nach dieser ablehnenden Stellungnahme - war schließlich das Bestreben, den "bereits einfachgesetzlich normierten Tierschutz [zu] stärken", da dieser bislang "gegenüber anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern, wie z. B. der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit, kaum effektiv durchsetzbar" sei (BT-Drucks. 14/9090).

Staatsziel Tierschutz und Tierversuche

Seitdem Tierschutz in Deutschland Verfassungsrang hat, sind tierschutzrechtliche Vorschriften zur Einschränkung der Forschungsfreiheit aus verfassungsrechtlicher Perspektive möglich. Umstritten ist jedoch, ob die bereits bestehenden Vorschriften zur behördlichen Genehmigungspraxis nach der Verfassungsänderung automatisch eine neue Auslegung erfahren. Zwei gegensätzliche Standpunkte werden vertreten.
Die Kommentare zum Tierschutzgesetz (und die Rechtsprechung durch das VG Gießen (siehe Modul Verfahren vor dem VG Gießen) gehen davon aus, dass mit der Staatszielbestimmung Tierschutz die Hilfskonstruktion einer "verfassungskonformen Auslegung" des Tierschutzgesetzes entbehrlich wurde. Die entsprechenden Paragraphen sollen danach jetzt, auch ohne eine Änderung des Wortlauts des Gesetzes, im Sinne eines stärkeren Eingriffs in die Forschungsfreiheit gedeutet werden können. Die Behörden wären damit angehalten, die Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit von beantragten Tierversuchen einer objektiven Prüfung zu unterziehen und nicht mehr lediglich zu prüfen, ob der Antragsteller sie wissenschaftlich begründet dargelegt hat. Wenn sich diese Auffassung in der Genehmigungspraxis durchsetzt, ist es denkbar, dass in Zukunft eine erheblich größere Zahl von Tierversuchen nicht genehmigt werden wird.
Dieser Auffassung wird entgegengehalten, dass der Wortlaut des Gesetzes (nach wie vor) besage, dass ein Tierversuch dann zu genehmigen sei, wenn der Antragsteller dessen Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit wissenschaftlich begründet dargelegt habe. Zwar könne der Gesetzgeber nach der Verfassungsänderung strengere Vorschriften zum Tierschutz in der Forschung erlassen, es sei aber nicht möglich, den bestehenden Gesetzestext gegen seinen Wortlaut auszulegen.

Es ist umstritten, inwieweit sich die Genehmigungspraxis für Tierversuche durch die Einführung des Staatszieles Tierschutz geändert hat. In den Jahren 2007 bis 2010 wurden deutschlandweit insgesamt 12 Versuchsanträge abgelehnt; in diesen Fällen wurden die Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere mit Blick auf den Versuchszweck als ethisch nicht vertretbar eingestuft bzw. die Unerlässlichkeit der Versuche als nicht hinreichend begründet angesehen. Des Weiteren wurden 53 Anträge zurückgezogen, da der wissenschaftliche Erkenntnisstand durch den Antragsteller nicht hinreichend dargelegt werden konnte (s. Tierschutzbericht der Bundesregierung 2011: 28). Für den Zeitraum zwischen 2005 und 2006 sind keine Ablehnungen gemeldet, während zwischen 2003 und 2004 insgesamt 16 Versuchsanträge abgelehnt wurden (siehe Tierschutzbericht 2005: 80).

2.3 Schweiz

Die Schweiz ist das einzige Land weltweit, das der Würde von Tieren einen verfassungsrechtlichen Schutz zuspricht und auch Pflanzen eine Würde zukommen lässt. Bereits im Art. 80 der Schweizer Bundesverfassung (siehe Modul Schweizer Bundesverfassung) finden sich Vorschriften zum Schutz der Tiere. Mit dem Artikel 120 "Gentechnologie im Ausserhumanbereich" wurde 1992 der Begriff der "Würde der Kreatur" (siehe Modul Würde der Kreatur) in die Bundesverfassung aufgenommen, der sich auf Tiere und Pflanzen bezieht. Dort heißt es in Abs. 2: "Der Bund erlässt Vorschriften über den Umgang mit Keim- und Erbgut von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen. Er trägt dabei der Würde der Kreatur sowie der Sicherheit von Mensch, Tier und Umwelt Rechnung und schützt die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten." Dieser Artikel wurde erstmals im Gentechnikgesetz (GTG) (siehe Modul Gentechnikgesetz in der Schweiz) vom 21. März 2003, das unter anderem "die Achtung der Würde der Kreatur gewährleisten [soll]", verankert. Das Erzeugen von gentechnisch veränderten Tieren fällt unter die Definition von Tierversuchen und unterliegt der Bewilligungspflicht.
Der Begriff der "Würde der Kreatur" wurde außerdem im Tierschutzgesetz (TSchG) (siehe Modul Rechtliche Regelung des Tierschutzes in der Schweiz) vom 16. Dezember 2005, das 2008 in Kraft getreten ist, sowie in der Tierschutzverordnung (TSchV) (siehe Modul Rechtliche Regelung des Tierschutzes in der Schweiz) vom 23. April 2008 präzisiert, wobei sie sich fast ausschließlich auf Wirbeltiere beziehen. Im Tierschutzgesetz heißt es, die Würde sei der "Eigenwert des Tieres, der im Umgang mit ihm geachtet werden muss. Die Würde des Tieres wird missachtet, wenn eine Belastung des Tieres nicht durch überwiegende Interessen gerechtfertigt werden kann. Eine Belastung liegt vor, wenn dem Tier insbesondere Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden, es in Angst versetzt oder erniedrigt wird, wenn tief greifend in sein Erscheinungsbild oder seine Fähigkeiten eingegriffen oder es übermässig instrumentalisiert wird". Fraglich ist, wie ein Tier merkt, ob es erniedrigt wird, wenn ihm keine Schmerzen, kein Leid, keine Schäden zugefügt werden und es auch keine Angst empfindet. Und auch das Eingreifen in das Erscheinungsbild als zusätzliche menschlich-subjektive Betrachtungsweise der Belastung wird von Kritikern des Gesetzes in Frage gestellt. Bei Tierversuchen sind Verletzungen der Würde von Tieren in eingeschränktem Maße erlaubt: "Tierversuche, die dem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen, sein Allgemeinbefinden erheblich beeinträchtigen oder seine Würde in anderer Weise missachten können, sind auf das unerlässliche Maß zu beschränken"(Art. 17).

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