Die größte Impfkampagne Deutschlands geht in die neue Runde. Diesmal ziehen Dutzende von Unternehmen am selben Strang. Mit „geimpften” Slogans geht es in den Krieg gegen Covid 19.
What else
Fangen wir mit den Basics an: Was ist #ZusammenGegenCorona? Im Grunde handelt es sich dabei um eine gemeinsame Aktion von mehr als 150 deutschen Unternehmen, die allesamt ihre Werbeslogans abgewandelt haben. Außerdem werben sie in verschiedenen Social Media-Netzwerken für die Impfung gegen das Coronavirus. Der Entwurf für die Kampagne stammt von der Berliner Werbeagentur Antoni, nach eigenen Angaben europäische Lead Agency für die Autosparte von Mercedes Benz. Und die Idee dahinter: Möglichst viele Menschen zu erreichen und zur Impfung zu bewegen. Dabei herausgekommen sind Slogans wie „Impfen. What else?” von Nestlé, „Impfen – ich liebe es” (McDonald’s), „Freude am Impfen” (BMW) oder „impf the change” (C&A).
Innerhalb kürzester Zeit schloss sich eine Vielzahl von Unternehmen der Kampagne an. Darunter befinden sich Schwergewichte wie Hornbach, Sky Deutschland, verschiedene Versicherer oder eBay Kleinanzeigen. Die Lebensmittelhändler Lidl und Edeka stiegen genauso mit ein wie der Blumenhändler Fleurop und die Otto GmbH. DAX-Konzerne und kleinere Familienunternehmen ziehen an einem Strang – und setzen sich gemeinsam für das Wohl der Bevölkerung ein.
Zumindest auf den ersten Blick.
Zusammen gegen Corona
Auf den zweiten Blick folgen einige durchaus kritische Gedanken. Sicherlich, es ist von vornherein naiv anzunehmen, auf Kommerz ausgerichtete Unternehmen könnten von jetzt auf gleich ihre Nächstenliebe und Wohltätigkeit entdecken. Die Definition von Propaganda ist ebenfalls bekannt und, jedenfalls in der Werbung, wohl erwartet. Natürlich soll sie manipulieren, beeinflussen. „Wer Propaganda betreibt, verfolgt damit immer ein bestimmtes Interesse”, so drückt es treffend die Bundeszentrale für politische Bildung aus.
Für gewöhnlich geht es in der Werbung allerdings nicht um politische Einflussnahme, sondern schlicht darum, ein Produkt zu verkaufen. Der politische Aspekt kommt in der heutigen Zeit – im Zeitalter von Social Media – nur gern hinzu, um diesen Verkaufsprozess noch einmal zu verstärken. Selbst der Angestellte, der für sein Unternehmen den Slogan durch Photoshop jagt, um ein einzelnes Wort gegen eine beliebige Variante von „Impfen” auszutauschen, dürfte ahnen, dass bei einer Impfquote von knapp 70 Prozent (Stand 9. Dezember 2021) größtenteils nur noch diejenigen nicht geimpft sind, die sich aus eigenem Willen dagegenstellen, und nicht, weil sie nicht informiert genug sind. Vielleicht lassen sich ja auch noch ein paar Unentschlossene erreichen.
Virtue Signaling in der Pandemie?
Dieser politische Aspekt speist ein Phänomen, das im englischsprachigen Raum als „Virtue Signaling” bekannt ist. Direkt übersetzt könnte es ungefähr das „Signalisieren von Tugenden” bedeuten. Der Trick dahinter: Ein Unternehmen schaut sich an, welche politische Meinung derzeit dem Mainstream entspricht, und schließt sich diesem Mainstream an, um aus der so erreichten Gruppe auf leichte und risikofreie Art Zuspruch zu gewinnen. Weil das größtenteils in den sozialen Medien geschieht, ist dabei natürlich die Meinung relevant, die dort vorherrscht. Zwar ist es schwierig, die politische Mainstream-Meinung festzustellen. Im Falle der Impfkampagne gibt praktischerweise die bloße Impfquote schon Aufschluss darüber, dass die Mehrheit sich eben nicht vor einer solchen Botschaft sperrt.
Tugendhafte Großkonzerne
Diese Praxis löst in den sozialen Netzwerken regelmäßig einen unangenehmen Beigeschmack aus, wenn ein Unternehmen bestimmte Tugenden vorspielt – und die User das recht schnell durchblicken. Im aktuellen Fall senden alle teilnehmenden Unternehmen eine deutliche Botschaft: „Wir sorgen uns um das Gemeinwohl und um eure Gesundheit”. Seltsam wird das, wenn zu diesen Unternehmen Fastfood-Ketten, Hersteller stark zuckerhaltiger Getränke oder gewisse Trinkwasser-Liebhaber gehören. Natürlich ist auch diesen am Ende der Beschränkungen und Lockdowns gelegen – allerdings könnte das daran liegen, dass ein funktionierender Einzelhandel mehr Umsätze bringt.
Virtues ohne Signaling
Wenn Unternehmen in dieser Hinsicht glaubhaft sein wollen, so lohnt es sich, zum Beispiel die Löhne und Arbeitsbedingungen der eigenen Mitarbeiter zu prüfen und anzupassen. Unter dem ein wenig kinskiesquen Titel „Sorgt für das Fressen, nicht für die Moral” schlägt die Zeit zum Beispiel vor, Arbeitsverträge auszustellen, mit denen Mitarbeiter ihr Leben planen können, und die Lieferketten zu untersuchen. Das bringt nicht so viele Likes, hilft aber der Allgemeinheit.
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